Britta Kuhn
Anastasia Tokhis Bachelor-Thesis analysiert, ob EU und Mercosur bald der Freihandels-Durchbruch gelingen könnte[1]
Seit Jahrzehnten verhandelt die EU mit Brasilien, Argentinien und weiteren Staaten des Mercado Común del Sur über bilateralen Freihandel. Die Zeitenwende und Brasiliens Regierungswechsel erhöhten jüngst die Erfolgsaussichten.
Freihandelsverhandlungen seit den 1990ern[2]
1991 gründeten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay den gemeinsamen Markt Mercosur. Weitere südamerikanische Staaten wie Chile sind assoziierte Mitglieder. Die Europäische Union vereinbarte 1999 ein Rahmenabkommen mit dem Mercosur. Es sollte stufenweise zu einer Freihandelszone und gemeinsamen Standards führen, etwa im Bereich Umwelt und Soziales.
Die Verhandlungen stockten allerdings immer wieder: Zum einen verfügt der Mercosur nicht über supranationalen Institutionen wie die EU-Kommission. Zum anderen erwiesen sich die Regierungen der großen Volkswirtschaften Brasilien und Argentinien zeitweise als protektionistisch. Erst 2019/20 einigten sich EU und Mercosur auf ein wirtschaftliches und politisches Assoziierungsabkommen, das anschließend von allen nationalen Parlamenten hätte genehmigt werden müssen. Dieser Ratifizierungsprozess wurde jedoch 2020 ausgesetzt. Denn die Vereinbarung hatte zu Streit und öffentlichen Protesten geführt, vor allem hinsichtlich ihrer Missachtung von Menschenrechten, Umwelt- und Naturschutz speziell in Brasilien. Hier herrschte von 2019 bis 2022 Jair Bolsonaro, der diese Themen weitgehend ignorierte. Daneben spielte China eine zunehmend wichtige wirtschaftliche Rolle in Südamerika – ganz im Gegensatz zu den EU-Staaten.
2022: Zeitenwende betrifft auch Südamerika[3]
Seit Russlands Ukraine-Invasion bemüht sich die EU stark darum, ihre Absatz- und Rohstoffmärkte zu diversifizieren. Das EU-Mercosur-Assoziierungsabkommen hat dadurch schlagartig an Bedeutung gewonnen – zumal in Brasilien inzwischen der umweltfreundlichere Lula regiert und auch Argentinien an einer schnellen Ratifizierung interessiert ist. Eine Aufteilung des Abkommens soll dafür sorgen, dass es schon mit einer qualifizierten Mehrheit der EU-Staaten durchgesetzt werden könnte. Erhebliche inhaltliche Herausforderungen liegen jedoch weiterhin in seiner ökologischen und Menschenrechts-Dimension. Daneben erschweren die asymmetrischen Machtverhältnisse im Mercosur mit Brasilien als dominantem Partner und die inzwischen engen Handelsbeziehungen Südamerikas mit China einen Durchbruch. Hier rächt sich, dass die EU Chinas Belt and Road Initiative jahrelang ignoriert hat. Die Volksrepublik könnte im Mercosur mit Hilfe seiner Marktmacht versuchen, ein Handelsbündnis mit der EU zu verhindern.
Fazit[4]
Die Thesis analysiert auch die bilateralen Handelsbeziehungen einzelner EU-Mitglieder wie Deutschland mit den jeweiligen Mercosur-Staaten. Daneben schildert sie die Details des geplanten Abkommens, hier vor allem seine Chancen und Herausforderungen für die Auto- und Agrarindustrie beider Regionen. Im Ergebnis verweist die Arbeit auf „ein großes Potenzial für die wirtschaftliche und nachhaltige Entwicklung beider Partner“ durch das Assoziierungsabkommen, hält seine Umsetzung aber weiterhin für schwierig.
Quellen:
[1] Anastasia Tokhi, „EU und Mercosur: Aktueller Stand und Perspektiven der bilateralen Handelsbeziehungen“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 28.03.2023.
[2] Im Detail: Anastasia Tokhi, a.a.O., Kapitel 1 und Abschnitt 2.1, S. 1 ff.
[3] Im Detail: Anastasia Tokhi, a.a.O., Abschnitte 2.2 bis 3.1., S. 4 ff.; Abschnitte 4.2 bis 4.3, S. 13 ff.
[4] Im Detail: Anastasia Tokhi, a.a.O., Abschnitte 3.2 bis 4.1, S. 7 ff. und Kapitel 5, S. 17 f.; Wörtliches Zitat auf S. 18.