Georgien: Aufbruch in die EU?

Britta Kuhn

Elia Simonishvilis Bachelor-Thesis analysiert Chancen und Risiken der deutsch-georgischen Wirtschaftskooperation[1]

Strom, Tourismus, Baugewerbe, Transitkorridor: Georgien bietet Kooperationspotenzial. Wären da nur nicht Nachbar Russland und innere Fragilität.

Zwischen EU und Russland[2]

Georgien wurde 1801 vom russischen Zarenreich kolonialisiert, war ab 1918 drei kurze Jahre unabhängig und nach erneuter russischer Besetzung von 1921 bis 1991 eine Sowjetrepublik. Nach dem Zerfall der Sowjetunion tat sich das Land zunächst schwer damit, unabhängig zu werden und institutionell zu funktionieren. Seit der Rosenrevolution von 2003 strebte jedoch der europafreundliche Präsident Saakaschwili institutionelle Reformen und den Weg in EU und NATO an. 

Bereits seit 1992 floriert die deutsch-georgische Entwicklungszusammenarbeit – insgesamt flossen bisher mehr als 1,3 Mrd. € über GIZ und KfW vor allem in georgische Infrastruktur, Städteplanung, Energiewirtschaft und Berufsausbildung. 1998 entstand ein deutsch-georgisches Abkommen zum Schutz von Kapitalanlagen. 2022 importierte Georgien etwa zehnmal so viele Güter aus Deutschland wie umgekehrt.

Der Welthandelsorganisation WTO trat die Kaukasusrepublik im Jahr 2000 bei. Seit 2016 existiert ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Aber auch mit China und der Türkei schloss Georgien bilaterale Vereinbarungen. Seit 2008 besetzt russisches Militär die Separatistengebiete Südossetien und Abchasien und damit rund 18% des Landes, das ungefähr so groß wie Bayern ist. Seit 2022 leben dort viele russische, ukrainische und zum Teil weißrussische Exilanten. Daneben boomen der Tourismus nach Georgien und die Wachstumsprognosen für die nächsten Jahre. Die Arbeitslosigkeit lag 2022 jedoch bei 17%, bei jungen Menschen weit höher. Gleichzeitig herrscht enormer Fachkräftemangel. 

Chancen: Strom, Transit, Tourismus und Bau[3]

Die Thesis detailliert, wie Georgien zum Stromexporteur und Stromtransitland für die EU werden will. Mit westlicher Finanzhilfe baut das Land vor allem die Wasserkraft aus, daneben z.B. moderne Hochspannungsleitungen. Zweitens entwickelt sich die Transkaspische Route seit 2022 verstärkt zu einer wichtigen Transportachse. Denn seit Russlands Ukraine-Invasion investiert hier nicht mehr nur China über die „Neue Seidenstraße“, sondern auch die EU Milliarden in Logistikrouten, die südlich von Russland und Belarus verlaufen. Georgien spielt bei diesem Infrastrukturausbau als Brücke zwischen Ost und West eine zentrale Rolle. Schließlich bietet der Tourismus noch viel Potenzial. Bisher besichtigen vornehmlich Gäste aus der Türkei, Russland, Armenien und Israel die kulturhistorischen und  landschaftlichen Sehenswürdigkeiten Georgiens. Davon profitiert auch die Baubranche.

Risiken: Polarisierung nach außen, Instabilität nach innen[4]

Die Abschlussarbeit geht daneben auf außen- und innenpolitische Fragilitäten ein. Seit Dezember 2023 ist Georgien einerseits offizieller EU-Beitrittskandidat. Andererseits zeigt sich die Regierung im Ukraine-Krieg neutral – Russland ist nach der Türkei Georgiens zweitwichtigster Beschaffungs- und sein wichtigster Absatzmarkt. Auch innenpolitisch befinden sich westliche Werte wie unabhängige Institutionen, Meinungs- und Pressefreiheit eher auf dem absteigenden Ast. Dagegen wächst die Einflussnahme einzelner Politiker und Wirtschaftsführer nach russisch-oligarchischer Art. Insofern befindet sich die Westintegration des Landes in einem Schwebezustand, so der Verfasser. Auch wenn sich die breite Bevölkerung eher dem Westen und seinen demokratischen Werten zugeneigt zu fühlen scheint.


Quellen:

[1] Elia Simonishvili, „Chancen und Risiken der deutsch-georgischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 27.03.2024.

[2] Im Detail: Elia Simonishvili, a.a.O., Kapitel 1-3, S. 1 ff.; 

[3] Im Detail: Elia Simonishvili, a.a.O., Kapitel 4, S. 8 ff.

[4] Im Detail: Elia Simonishvili, a.a.O., Kapitel 5, S. 14 ff.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..