Britta Kuhn
Lisa Stillgers Bachelor-Thesis analysiert, was Deutschland von anderen europäischen Staaten lernen kann[1]
Sprache zuerst oder Arbeit zuerst? Nicht nur darin unterscheiden sich die Integrationsansätze Deutschlands, Polens, der Niederlande und Großbritanniens.
Ausgangssituation[2]
Geflüchtete aus der Ukraine sind vorwiegend Frauen und Kinder. Sie verfügen über ein überdurchschnittliches Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau und dürfen in der EU sofort arbeiten. All dies unterscheidet sie von Asylsuchenden aus anderen Drittstaaten. Die Beschäftigungsquote ukrainischer Geflüchteter lag in Deutschland im 4. Quartal 2023 bei 27% und damit deutlich unter derjenigen in Großbritannien (56%), den Niederlanden (55%) und Polen (48%). Warum?
Deutschland, Polen, Niederlande und Großbritannien[3]
Die Thesis vertieft sechs Faktoren, die zur Arbeitsmarktintegration Geflüchteter beitragen: 1. Qualifikationen und deren Anerkennung, 2. Kinderbetreuung, 3. Alter, 4. Sprachkenntnisse, 5. nationale Arbeitsmarktlage und 6. soziale Netzwerke. In Deutschland müssen Ukrainer persönlich eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Das ist aufwändiger als in Polen oder den Niederlanden. Die Arbeitsagentur, reguläre Sozialleistungen wie Bürgergeld und eine Krankenversicherung unterstützen die Geflüchteten. Es gilt der „Sprache-zuerst“-Ansatz, der die langfristige Arbeitsmarktintegration verbessert, kurzfristig jedoch niedrigere Beschäftigungsquoten bringt.
Polen punktet v.a. bei den Netzwerken, da hier schon vor 2022 viele Ukrainer arbeiteten. Daneben ähneln sich die polnische und ukrainische Sprache eher als dem Deutschen. Ukrainische Geflüchtete können sich in Polen online registrieren und als arbeitssuchend melden. Sie erhalten Sozialleistungen und Kindergeld wie Einheimische. Im März 2023 sanken aber die Leistungen für Unterkunft und Verpflegung in Gemeinschaftsunterkünften. Fast die Hälfte der geflüchteten Beschäftigten arbeitet unterhalb ihres Qualifikationsniveaus. Insgesamt ist bisher unklar, ob Polen eher auf Integration durch Sprache oder Arbeit setzt.
Die Niederlande verfolgen den „Arbeit-zuerst“-Ansatz. Ihr relativ großer Niedriglohnsektor begünstigt eine Arbeitsaufnahme ohne formale Qualifikationsnachweise und Sprachkenntnisse. Integrationsfördernd wirkt, dass 80% der niederländischen Bevölkerung Englisch beherrschen. Sprachkurse sind, anders als in Deutschland oder Großbritannien, kostenpflichtig. Dafür gibt es eine starke und flexible Infrastruktur an Kinderbetreuungseinrichtungen, für deren Nutzung berufstätige Eltern Geld vom Staat erhalten.
In Großbritannien ist der rechtliche Status geflüchteter Ukrainer anders als in der EU und keineswegs einfacher. Dafür befindet sich ein geringer Anteil im Rentenalter. Großbritannien verknüpft Sprache und Arbeitssuche: Ein Programm für ukrainische Geflüchtete verbindet z.B. einen zehnwöchigen Intensivsprachkurs mit einer zwölfwöchigen individuellen Hilfe bei der Arbeitssuche.
Handlungsempfehlungen für Deutschland[4]
Beispielhafte Maßnahmen für eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung ukrainischer Geflüchteter sieht die Abschlussarbeit v.a. in mehr und flexibleren Kinderbetreuungsplätzen, einer schnelleren und leichteren Anerkennung ausländischer Abschlüsse sowie in berufsbegleitenden Sprachkursen. Den Einfluss unterschiedlicher nationaler Sozialleistungen auf die Beschäftigtenquote thematisiert die Thesis nur am Rande, da empirische Literatur hierzu rar ist.
Quellen:
[1] Lisa Stillger, „Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter: Was kann Deutschland von anderen europäischen Staaten lernen?“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 18.09.2024.
[2] Im Detail: Lisa Stillger, a.a.O., S. 3 f. und S. 8.
[3] Im Detail: Lisa Stillger, a.a.O., Kapitel 4-5, S. 4 ff.
[4] Im Detail: Lisa Stillger, a.a.O., Kapitel 6, S. 18 ff.