Qualitatives Wachstum finanzierbar machen, Teil I: Subventionspolitik in Deutschland neu ausrichten

von Hannes Hoberg unter Mitarbeit von Marc Fensterseifer

Das Europa des 17. Jahrhunderts war weitgehend vom Absolutismus und der Ständegesellschaft geprägt. Der Adel genoss die Privilegien der Steuerfreiheit und der Grundherrschaft. Deutschland zersplitterte im Zuge des Provinzialismus zusehends. Der erst 17-jährige Deutsche Georg Forster umsegelte zu dieser Zeit gemeinsam mit seinem Vater und dem berühmten Kapitän James Cook die Welt. Er wollte unter anderem herausfinden, wie sich der soziale Zusammenhalt der Naturvölker gestaltete und ob es auch bei ihnen eine ungerechte Spaltung in oben und unten geben würde, so wie er es aus seiner Heimat kannte. Forster glaubte stets an das menschliche Potenzial, eine gerechte Gesellschaft bilden zu können. Doch auf seiner Reise stellte er ernüchtert fest, dass selbst bei den endemischen Naturvölkern  patriarchalische Sozialstrukturen herrschten. War die Menschheit nun von Natur aus dazu verbannt, ewig in Ungerechtigkeit zu leben? Forster jedenfalls gab sich dieser pessimistischen Vorstellung nicht hin und kämpfte, zurück in der Heimat, für seine Vision von Gerechtigkeit[1].

Über 300 Jahre sind seit Forsters Reisen vergangen und erneut stellt sich in Deutschland die Frage nach der Gerechtigkeit und der Art und Weise, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Eine mögliche Antwort bietet „qualitatives Wachstum“ und die damit verbundene Erweiterung des klassischen quantitativ orientierten Wachstumsparadigmas. Qualitatives Wachstum heißt, das Wohlergehen einer Mehrheit der Menschen zu steigern. Von Gerechtigkeit profitieren die meisten Menschen in hohem Maße, weshalb sie ein Kernziel qualitativen Wachstums darstellt.

Ein wesentliches Fundament gesellschaftlicher Gerechtigkeit bildet die Verteilung finanzieller Mittel. Es ist daher zu überlegen, wo Umverteilungsspielräume vorhanden wären und wie sie sinnvoll genutzt werden könnten. Wir haben diesbezüglich drei Möglichkeiten diskutiert:

Teil I: Subventionspolitik neu ausrichten

Teil II: Vermögen besteuern

Teil III: Mäzenatentum fördern

Der folgende Artikel befasst sich mit der Neuausrichtung der deutschen Subventionspolitik.

Subventionen in Deutschland

Bund, Länder und Gemeinden schütten jährlich Milliardenbeträge für Subventionen aus. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung belief sich das Fördervolumen im Jahr 2009 auf 58,2 Mrd. Euro[2]. Werden allerdings die Beihilfen an (halb-)staatliche Dienstleister einbezogen, kommt man auf 164,74 Mrd. Euro[3]. In diese „Subventionen in weiter Abgrenzung“ fließen auch Transfers an z.B. Krankenhäuser, gesetzliche Krankenversicherungen, Kirchen, sonstige Religionsgemeinschaften oder Theater und Museen ein. Der Anteil der Subventionen am Bruttoinlandprodukt lag so 2009 bei 6,8 Prozent[4]. Es ist zwar davon auszugehen, dass diese Quote mit der wirtschaftlichen Erholung Deutschlands wieder sinkt. Die Frage, ob all diese Hilfsgelder jedoch gerechtfertigt und sinnvoll sind, bleibt offen.

Im Juni 2010 titelte der Spiegel „Subventionen in Deutschland auf Rekordhoch“, laut Experten seien 90 Prozent der Subventionen „überflüssig“[5]. Tatsächlich wäre im Jahr 2009 gemäß Kieler Subventionsbericht von 2010 ein Kürzungspotential bei Bund, Ländern und Gemeinden von rund 129 Mrd. Euro möglich gewesen[6]. Selbstverständlich kann nun die Politik nicht einfach wahllos Unterstützungszahlungen kürzen. Hemmnisse dafür können vertragliche Regelungen sein, die den Staat auch in Zukunft an Vereinbarungen binden. Außerdem existieren gesetzliche Regelungen, auf Basis derer „Private – unter Umständen weitreichende – Entscheidungen getroffen haben und auf deren Bestand sie mit gutem Grund vertrauen durften (Vertrauensschutz)“[7]. Weitere Hindernisse können Entscheidungen sein, bei denen verschiedene staatliche Ebenen ein Mitbestimmungsrecht  genießen, deren Interessen aber nicht übereinstimmen. Im Bericht heißt es jedoch: „Selbst dann, wenn man den Hemmnissen für eine Politik der Subventionskürzung in hohem Maße Rechnung trägt, gibt es demnach einen beträchtlichen Spielraum, die Finanzhilfen und die Steuervergünstigungen zu reduzieren und so das Budget des Staates auszugleichen.“[8] Insgesamt seien bei den Steuervergünstigungen 51,48 Mrd. und bei den Finanzhilfen des Bundes und der Länder sowie Gemeinden 77,64 Mrd. Einsparungen möglich. Auch sei 2009 nur etwa ein Fünftel des Geldes branchenübergreifend gewährt worden. „Vier Fünftel dagegen flossen gezielt an einzelne Wirtschaftsbereiche.“[9]

Einsparmöglichkeiten

Doch wo genau können Subventionen eingespart werden? Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom Oktober 2011 könnte Deutschland allein 35 Mrd. Euro jährlich durch den Abbau ökologisch schädlicher Zuschüsse einsparen[10]. Den größten Anteil von 23,1 Mrd. Euro machen dabei Finanzhilfen im Verkehrsbereich aus. Konkret handelt es sich um Steuervergünstigungen für den Luft- und Binnenschifffahrtsverkehr, die pauschale Besteuerung von Dienst- und Firmenwagen, die Entfernungspauschale und den ermäßigten Dieselsteuersatz[11]. „Negative Umweltwirkungen ergeben sich hier vor allem durch die Klimawirkungen der verursachten CO2-Emissionen, durch Lärmbelastung, Schadstoffbelastung von Luft und Böden und das Zerschneiden von Landschaften im Straßenbau.“[12] Den zweitgrößten Anteil mit 17,7 Mrd. Euro machen Unterstützungszahlungen im Energiesektor aus. Hierzu zählen Beihilfen für die Stein- und Braunkohleförderung, Ausnahmen und Vergünstigungen bei der industriellen Energiebesteuerung sowie die kostenfreie Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten. Staatliche Förderinstrumente setzen in diesen Bereichen falsche Anreize und verbrauchen Mittel, die an anderer Stelle fehlen. Die Subventionsampel des Kieler Instituts für Weltwirtschaft identifiziert Transfers in einer Größenordnung von insgesamt 7,5 Mrd. Euro, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht ohnehin „ersatzlos gestrichen werden sollten (rotes Ampelsignal)“[13]. Im Wesentlichen geht es um die Investitionszulage im Rahmen des „Aufbau Ost“, um Subventionen und Bürgschaften für Airbus, um die kostenfreie Zuteilung der CO2-Zertifikate, Steuerbegünstigung für Dieselkraftstoffe und um Finanzhilfen für die Braunkohleförderung. „Äußerst ineffizient ausgestaltet (gelbes Ampelsignal) sind etwa die Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder, die Stromsteuerbegünstigung von Unternehmen und die Subventionen für die Erhaltung des Eisenbahnschienennetzes.“[14], so der Bericht.

Vorschläge für eine Umgestaltung

Wie könnte eine Umgestaltung der Subventionen konkret aussehen? Ulrich Kelber, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, schlägt vor, lieber die warmmietenneutrale energetische Gebäudesanierung dauerhaft zu fördern, anstatt jährlich 6 Mrd. Euro in die Steuerbegünstigung für Dieselkraftstoffe zu investieren. Die Gebäudedämmung würde einerseits dem Klimaschutz nützen und anderseits neue Arbeitsplätze schaffen. Eine entsprechende Förderung im Jahr 2010 mit 2,25 Mrd. Euro hätte bereits neue Arbeitsplätze für rund 340.000 Beschäftigte im Bausektor geschaffen und Deutschland „zunehmend von den Kosten für Energieimporte entlastet“ sowie „die Menschen vor steigenden Öl- und Gaspreisen“ abgesichert[15]. Alfred Boss vom Kieler IfW würde die Umsatzsteuerbefreiung ärztlicher Leistungen und den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abschaffen. Er schlägt stattdessen einen einheitlichen Umsatzsteuersatz vor, wodurch das „Steuerrecht vereinfacht, Verzerrungen der Wirtschaftsstruktur verringert und Wachstumsimpulse ausgelöst“[16] würden. Er betont, die „gegenwärtigen Steuereinnahmen könnten durch einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz von 10,5 Prozent erzielt werden“. Welche enormen Entlastungen der gezielte Subventionsabbau für die Steuerzahler bedeuten könnte, zeigt eine Modellrechnung des IfW am Beispiel des Jahres 2008: Das Kürzungspotenzial bei Finanzhilfen und Steuervergünstigungen lag bei etwa 119 Mrd. Euro. Die Modellrechnung zeigt, dass „eine Einkommenssteuersenkung in diesem Umfang eine drastische Verringerung des Eingangssteuersatzes auf 9,5 Prozent bei einem Spitzensteuersatz von 28,5 Prozent ermöglichen würde, wobei der Solidaritätszuschlag eingerechnet ist.“[17] Es sei an dieser Stelle zwar kritisch hinterfragt, ob bei einer zunehmend asymmetrische Vermögenskonzentration und einem Spitzensteuersatz, der im europäischen Vergleich nur im mittleren Bereich liegt, eine Entlastung der Besserverdiener zweckdienlich wäre[18]. Deutlich wird aber, dass die Mehrheit der Menschen finanziell vom Beihilfeabbau profitieren könnte.

Hemmnisse

Beihilfekürzungen stehen immer erhebliche Widerstände gegenüber. Unternehmen in Deutschland versuchen mittels eigener Abteilungen oder spezialisierter Subventionsberater, aus über 2000 Subventionierungsmöglichkeiten ihre passenden Optionen herauszufiltern. Nachvollziehbarer Weise wollen diese Unternehmen einmal gewonnene Subventionen langfristig sichern und drohen der Politik andernfalls mit Standortverlegungen und Stellenabbau. Allein die zehn größten deutschen Konzerne bekamen 2010 rund 340 Mio. Euro Forschungshilfen, die großen Fahrzeughersteller sogar 500 Mio. Euro für ihre Forschung zur Elektromobilität, obwohl die Branche 2010 das „beste Jahr in ihrer Geschichte“[19] erleben durfte[20]. Außerdem wurden der Branche spätere Steuererleichterungen beim Verkauf der Fahrzeuge zugesagt, dabei hätte sie nach den Marktregeln ohnehin selbst in die Forschung investieren müssen, um auch zukünftig Absätze tätigen zu können, so Wolfgang Kubicki (FDP)[21]. Es müssten also effektive Möglichkeiten geschaffen und umgesetzt werden, Subventionen nur unter Vorbehalten auszuschütten, um den Staat vor Missbrauch zu schützen.

Fazit

Ein Großteil der Subventionen in Deutschland setzt falsche Anreize oder kommt Unternehmen zugute, die sie nicht nötig hätten. Es handelt sich um beträchtliche Summen, die anderenorts deutlich bessere Verwendung fänden und auch angesichts der erheblichen Staatsverschuldung dringend gebraucht würden. Der Abbau und/oder die Neujustierung von Subventionen ist daher eine Möglichkeit, Mittel für qualitatives Wachstum zu gewinnen, um so die Gerechtigkeit in Deutschland zu steigern.


Quellen:

Vielen Dank an Dennis Reiß für die ausführliche Kommentierung und Beratung!

[1] ZDF Terra X , „Expedition in die Südsee“, Sendung vom 19/02/12

[2] Institut für Weltwirtschaft Kiel(IfW),Alfred Boss und Astrid Rosenschon, “Subventionen in Deutschland: Der Kieler Subventionsbericht“, 06/2010, S. 39, http://www.ifw-kiel.de/pub/kd/2010/kd479-480, abgerufen am 20.02.2012.

[3]IfW06/2010, a.a.o., S. 38.

[4] Spiegel Online, „Subventionen in Deutschland auf Rekordhoch“, 06/2010, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,698532,00.html, abgerufen am 22.02.2012.

[5] Spiegel Online 06/2010, a.a.o.

[6] Institut für Weltwirtschaft Kiel 06/2010, a.a.o., S. 44.

[7] Institut für Weltwirtschaft Kiel 06/2010, a.a.o., S. 39.

[8] Institut für Weltwirtschaft Kiel 06/2010, a.a.o., S. 44.

[9] Spiegel Online 06/2010, a.a.o.

[10] Friedrich-Ebert-Stiftung, “Wege zum Abbau umweltschädlicher Subventionen“, 10/2011, S. 25, http://library.fes.de/pdf-files/wiso/08504-20111208.pdf, abgerufen am 22.02.2012.

[11] Friedrich-Ebert-Stiftung 10/2011, a.a.o., S. 9.

[12] Friedrich-Ebert-Stiftung 10/2011, a.a.o., S. 9.

[13] IfW, “IfW-Subventionsampel: Mehrzahl der Subventionen ökonomisch schädlich oder ineffizient“, 05/2011, http://www.ifw-kiel.de/medien/medieninformationen/2011/ifw-subventionsampel-mehrzahl-der-subventionen-okonomisch-schadlich-oder-ineffizient, abgerufen am 20.02.2012.

[14] IfW05/2011, a.a.o.

[15] vorwärts.de, Ulrich Kelber, „Mehr Subventionsabbau wagen“, 11/2011, http://www.vorwaerts.de/artikel/mehr-subventionsabbau-wagen, abgerufen am 20.02.2012.

[16] IfW, „Staat gewährt Steuervergünstigungen von 53 Mrd. Euro“, 02/2010,http://www.ifw-kiel.de/medien/medieninformationen/2010/staat-gewahrt-steuervergunstigungen-von-53-mrd-euro, abgerufen am 20.02.2012.

[17] IfW, „Steuersenkungen statt Subventionen“, 05/2008, http://www.ifw-kiel.de/medien/medieninformationen/2008/pm27-05-08, abgerufen am 21.02.2012.

[18] eurostat Pressemitteilung, „Steuerentwicklungen in der Europäischen Union“, 06/2010, S. 3, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/2-28062010-BP/DE/2-28062010-BP-DE.PDFm, abgerufen am 21.02.2012.

[19] manager magazin, „2010 wird das beste Jahr in der Geschichte“, 10/2010, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/0,2828,720963,00.html, abgerufen am 21.02.2012.

[20] ARD plusminus, „Subventionen trotz voller Auftragsbücher“, 08/2011, http://www.youtube.com/watch?v=K0e2ZU2YBPk und http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_dyn~uid,k3rim9nvqlqnnd8w~cm.asp, abgerufen am 21.02.2012.

[21] ARD plusminus 08/2011, a.a.o.

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