Genossenschaftsbanken – Zukunftsmodell des krisenfesten Wirtschaftens

Matthias Breil

Die Bundestagsfraktion Die Linke fordert seit langem Reformen zur Förderung von Genossenschaften[1], da diese in der Finanzkrise besondere Standhaftigkeit bewiesen haben[2]. Doch woran liegt das und sollten Genossenschaften die vorherrschende, kapitalistische Unternehmensform der Aktiengesellschaften ersetzen?

Geschichte der Genossenschaften

Die ersten Genossenschaften bildeten sich in Deutschland als eine Art Hilfsorganisation Mitte des 19. Jahrhunderts. Durch die industrielle Revolution gerieten insbesondere Bauern und kleine Handwerksbetriebe in wirtschaftliche Notlagen. Aufgrund mangelnder Sicherheiten konnten sie bei Banken kein Kapital in Anspruch nehmen – die einzige Lösung waren private Geldverleiher mit sehr hohen Zinsen. Dadurch verschlimmerte sich ihre Lage aber meist nur und führte oftmals zum Verlust der wirtschaftlichen Existenz. Deshalb gründete Friedrich- Wilhelm Raiffeisen 1864 den „Heddesdorfer Darlehnskassenverein“, eine Refinanzierungsmöglichkeit mit moderaten Konditionen für diese vernachlässigten Unternehmer. Neben Raiffeisen gilt Hermann Schulze-Delitzsch als Mitbegründer der Genossenschaften. Er sah vor allem Probleme bei den in Zahlungsschwierigkeiten gekommenen Handwerkern, deren Situation er durch den Zusammenschluss vieler kleiner, schwächerer Einheiten nachhaltig verbessern wollte. 1850 rief er den „Vorschussvereinin Delitzsch ins Leben, die Urform der heutigen Volksbanken. Das System funktionierte, so dass überall in Deutschland weitere Genossenschaften entstanden[3]. Heute existieren ca. 8.000 Genossenschaften mit über 21 Millionen Mitgliedern in Deutschland. Vor allem in den Bereichen erneuerbare Energien und im Gesundheitswesen entstehen jedes Jahr zahlreiche neue Genossenschaften[4].

Die Finanzkrise führte seit 2009 vermehrt Privatunternehmen in die Insolvenz, insbesondere Banken wurden durch staatliche Eingriffe gerettet. Die Genossenschaften hingegen haben die Krise unbeschadet überstanden und stehen sogar besser da als vor der Krise[5].

Exkurs durch den Paragraphendschungel

Der Unterschied zwischen Genossenschaften (eG) und Aktiengesellschaften (AG) findet sich schon bei einem Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen. Im Genossenschaftsgesetz §1 heißt es: „Genossenschaften sind Betriebe, die den Erwerb und die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs fördern.“[6] Sie handeln also genau nach dem Prinzip von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch, indem sie sich gegenseitig stützen und stärken. Die Gewinnmaximierung steht in der Regel nicht an vorderster Stelle. Bei Eintritt in die Genossenschaft müssen die Mitglieder einen Genossenschaftsanteil kaufen, die Summe der Einzahlungen auf Genossenschaftsanteile ergibt das Eigenkapital der Genossenschaft. Die Geschäftsführung übernimmt der Vorstand, der in der Regel aus zwei Personen besteht. Ein Aufsichtsrat überwacht die Arbeit des Vorstands[7].

Bei Aktiengesellschaften hingegen stehen die Kapitalbeteiligung der Aktionäre und deren Gewinn im Vordergrund. Das Eigenkapital besteht in erster Linie aus dem Grundkapital, das durch die Herausgabe von Aktien entsteht[8]. Ein weiterer Unterschied zwischen AG und eG besteht im Stimmrecht: Bei der Aktiengesellschaft ist es an die gehaltenen Aktien gekoppelt, ein Aktionär mit nur einer Aktie findet also kaum Gehör. Bei der Vertreterversammlung der Genossenschaft hat hingegen jedes Mitglied genau eine Stimme, unabhängig von der Höhe seines Genossenschaftsanteils[9]. Eine Genossenschaft ist also demokratischer.

Woher kommt der Erfolg der Genossenschaftsbanken in den letzten Jahren?

Die Volks- und Raiffeisenbanken haben die Finanzkrise vor allem deshalb so gut überstanden haben, weil Genossenschaftsbanken lokal operieren und als Verbundinstitute nur zwei übergeordnete Zentralen haben – die DZ-Bank und die WGZ Bank[10]. Jede Volks- und Raiffeisenbank ist deshalb in der Größe grundsätzlich beschränkt: eine Bank mit einer Bilanzsumme von über einer Milliarde Euro gilt im Genossenschaftsverbund bereits als „Großbank“, die Deutsche Bank erreicht zum Vergleich eine Bilanzsumme von ca. zwei Billionen Euro[11]. Hinzu kommt die Geschlossenheit des Verbunds: gerät eine Bank in Zahlungsnot, helfen die anderen Genossenschaftsbanken bundesweit. Ergänzend existiert der Einlagensicherungsfonds der Genossenschaftsbanken, um im Insolvenzfall die Kundeneinlagen zu sichern[12]. Durch die begrenzten Größen der Banken wird auch mit geringeren Risiken gearbeitet: Da die Genossenschaftsbanken weniger Kapital als die Großbanken zur Verfügung haben, sinkt auch ihre Risikobereitschaft. Anders als bei vielen Großbanken wird in den Volksbanken daher weniger gezockt.

Durch die massiven staatlichen Finanzhilfen für Großbanken auf Kosten der Steuerzahler fühlen sich die Menschen betrogen, das Vertrauen in die Kreditwirtschaft ist geschädigt. Die Volks- und Raiffeisenbanken können hingegen durch ihre familiäre Atmosphäre an genau dieser Stelle beim Kunden punkten[13]. Ihre Konditionen spielen daher oft nur eine untergeordnete Rolle: Volksbanken erheben z.B. in der Regel Kontoführungsgebühren von drei bis fünf Euro, Comdirect und ING Diba locken ihre Kunden stattdessen mit kostenlosen Konten ab einer bestimmten Höhe der monatlichen Einzahlungen[14].

Sollten Genossenschaften im Bankensektor die Aktiengesellschaften verdrängen?

Sind Genossenschaften die „besseren Kapitalisten“, da sie zwar auch profitorientiert arbeiten, aber überschaubare Risiken eingehen und die Interessen der Kleinanleger stärker berücksichtigen? Doch so stabil die Strukturen der Genossenschaften scheinen, münden sie letztendlich ebenso in eine Kapitalgesellschaft. Die Zentrale der Genossenschaftsbanken in Deutschland ist die DZ Bank AG (Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank), eine Aktiengesellschaft. Sie ist zuständig für ca. 1.100 Genossenschaftsbanken und das derzeit viertgrößte Kreditinstitut Deutschlands. Ebenso ist der Verbundpartner der Volks- und Raiffeisenbanken für Fondsgeschäfte, Union Investment, eine Aktiengesellschaft[15]. In der Finanzkrise traf es die DZ Bank ebenso wie die Commerzbank und die Hypo Real Estate: Im Jahr 2009 musste sie vier Milliarden Euro auf Bankanleihen, Staatsanleihen und anderer riskanter Papiere abschreiben – ein Jahresverlust von einer Milliarde Euro war die Folge. Nur weil die Volks- und Raiffeisenbanken gemeinsam die Verluste auffingen, musste die DZ Bank keine staatlichen Rettungshilfen in Anspruch nehmen[16]. Man kann daraus schlussfolgern, dass diese Dachinstitute durch die Übernahme zentraler Aufgaben und die Entfernung zum Endkunden eine ähnlich hohe Risikobereitschaft aufweisen wie „normale“ Großbanken. Vorteilhaft ist lediglich die kleinteilige und regional verankerte Basisstruktur.

Fazit des Autors

Die Genossenschaften haben die Finanzkrise so gut überstanden, weil sie sich in einer Zeit, in der das Bankgeschäft zunehmend einem Kasino glich, wegen ihrer andersartigen Ziele und Organisationsstrukturen auf die eigentlichen Aufgaben des Kreditwesens konzentriert haben. Genossenschaften sind im Bankensektor längst als Modell für nachhaltiges Wachstum anerkannt, der weitere Ausbau dieses Geschäftsmodells wäre gesamtwirtschaftlich nützlich. Allerdings bedarf es immer eines Dachinstituts, das als Service- und Clearingstelle dient. Bei diesen Dachinstituten ist aber nicht mehr das genossenschaftliche, regionale Prinzip verankert, der Fokus liegt vielmehr genau wie bei Aktiengesellschaften auf Renditemaximierung. Insbesondere im internationalen Kontext werden AGs daher weiterhin notwendig sein. Diese müssten aber seltener vom Steuerzahler aufgefangen werden, wenn sie auf einem soliden, regional diversifizierten und damit weniger riskanten Unterbau beruhten, wie ihn das Genossenschaftswesen bietet.


Quellen:

[1] Karin Billanitsch, „Opposition fordert Genossenschafts- Reform“, Frankfurter Rundschau vom 20.12.2012, http://www.fr-online.de/wirtschaft/genossenschaften-opposition-fordert-genossenschafts-reform,1472780,21154428.html (Zugriff am 27.10.2013).

[2] Philip Banse, „Genossenschaftsbanken: Gewinner der Schuldenkrise“, Deutschlandradio vom 12.3.2012, http://www.dradio.de/dlf/sendungen/wirtschaftammittag/1701151/

(Zugriff am 27.10.2013).

[3] DGRV, „Historie Genossenschaften“, http://www.dgrv.de/de/genossenschaftswesen/historiegenossenschaft.html (Zugriff am 27.10.2013).

[4] Genossenschaftsverband, „Genossenschaftsbericht 2012, https://www.genossenschaftsverband.de/verband/Panorama/aktuelle-meldungen/genossenschaftsbericht-2012 (Zugriff am 11.11.2013).

[5] Karin Billanitsch, a.a.O.

[6] dejure.org, „§1 Wesen der Genossenschaften“, http://dejure.org/gesetze/GenG/1.html (Zugriff am 27.10.2013).

[7] Grill Perczynski, „Wirtschaftslehre des Kreditwesens“, 43. Auflage, 2009, Seite 35 f.

[8] Grill Perczynski, a.a.O., S. 30 f.

[9] Grill Perczynski, a.a.O., S. 31 ff.

[10] Marcus Pfeil, „Raiffeisen Wunder“, Zeit Online vom 2.2.2013, http://www.zeit.de/2013/05/Genossenschaftsbanken (Zugriff am 28.10.2013).

[11] Onvista.de, „Kennzahlen zu Deutsche Bank“, http://www.onvista.de/aktien/fundamental/Deutsche-Bank-Aktie-DE0005140008 (Zugriff am 28.10.2013).

[12] konto.com, „Einlagensicherung bei Genossenschaftsbanken“, http://www.konto.com/einlagensicherung/volksbank-raiffeisenbank.html (Zugriff am 28.10.2013).

[13] Marcus Pfeil, a.a.O.

[14] dynamisch.vergleich.de, „Girokonto Vergleich“, http://dynamisch.vergleich.de/vergleich/girokonto/vergleich?Profil=online-nutzer&extcid=SGOJHAD060000020&ad=2&p_pixel=ADM (Zugriff am 27.10.2013).

[15] DZ Bank Gruppe, „Geschäftsbericht 2012 Vertrauen“ S. 2 ff., http://www.geschaeftsbericht.dzbank.de/2012/gb/files/pdf/de/DZBANK_Gruppe_GB2012_Gesamt.pdf (Zugriff am 10.11.2013).

[16] Spiegel Online, „Milliardenverluste: DZ Bank braucht frisches Kapital“, http://www.spiegel.de/wirtschaft/milliardenverluste-dz-bank-braucht-frisches-kapital-a-602456.html (Zugriff am 27.10.2013).

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