Pflichtjahr für Boomer?

Britta Kuhn

Die Politik diskutiert ein Pflichtjahr für junge Leute. Es würde den Fachkräftemangel verstärken. Reichlich vorhanden sind dagegen leistungsfähige und reiche Boomer, die Purpose benötigen.

Deutschlands geburtenstarke Jahrgänge

Im August 2025 schlug Marcel Fratzscher, der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ein Pflichtjahr für Rentner in Deutschland vor. Dies sei angesichts des demografischen Wandels geboten und diene einer gerechten Lastenverteilung zwischen Jung und Alt. Auch gebe es viele Einsatzbereiche für ältere Menschen im Sozial- und Verteidigungsbereich.[1] Das alte Deutschland reagierte erwartbar entsetzt. Die reichweitenstarke 20-Uhr-Tagesschau präsentierte z.B. eine 83-Jährige, die lieber auf ihren Urenkel aufpassen möchte.[2] Allerdings richtet sich Fratzschers Vorschlag eher an die Boomer-Generation. Das sind Menschen, die in den frühen 1960er Jahren zur Welt kamen. In dieser Generation gibt es zahllose gesunde rund 60-Jährige, die weder in prekären Verhältnissen leben, noch zahlreiche Kinder großgezogen, noch 43 Jahre lang (wie angeblich obige 83-Jährige) berufstätig waren. Gerade höheren Einkommen bietet der deutsche Sozialstaat hohe Anreize, betriebliche Abfindung, Arbeitslosengeld und Frühverrentung so zu kombinieren, dass sie das Arbeitsleben faktisch lange vor dem 67. Geburtstag verlassen. Auf der Suche nach Sinnstiftung („purpose“) buchen diese reichen Boomer vielfach Fernreisen, die ihre Zeit und Energie binden.

Fachkräftemangel in Deutschland

Junge Arbeitskräfte sind dagegen in Deutschland zunehmend knapp. Diese Entwicklung wird auch Einwanderung nicht dauerhaft umkehren, da die Geburtenraten weltweit sinken.[3] Selbst das ebenfalls überalterte China schreckt vor ultimativen Zwangsmaßnahmen zurück, die eine Trendwende brächten. Die Alterung Deutschlands wird also zu- statt abnehmen. Bestenfalls ließe sich die Auswanderung Hochqualifizierter verringern, das Bildungssystem neu aufstellen, KI und Robotik einsetzen. Insofern gilt es, auch ältere Menschen produktiv einzusetzen – z.B. auf Basis einer Befähigungsprüfung, die über eine reine Musterung hinausginge. Beispiel Verteidigungsfall: Der 60-Jährige, von SAP mit „goldenem Handschlag“ verabschiedete IT-Experte könnte Drohnen steuern. Die 65-jährige, ehemalige Lufthansa-Cargo-Mitarbeiterin würde die Nachschub-Logistik koordinieren. Anders als bei Himalaya-Touren oder Japan-Rundreisen käme die Energie und Kenntnis dieser faktischen Frührentner dem Erhalt unserer reichen, liberalen Demokratie zugute.

Gegenargument Medianwähler

Die Empörung, ein Pflichtjahr für Rentner nutze die Schwächsten aus, sei respektlos und ignoriere, dass Ältere oft schon ehrenamtlich tätig seien[4], lässt sich also leicht entkräften. Anders das politökonomische Argument, dass Boomer Wahlen entscheiden: Kein Politiker traute sich bisher, dieser Generation auch nur minimale Zusatzlasten aufzubürden – im Gegenteil, siehe Mütterrente. Insofern wäre es vermutlich politisch einfacher, ein Pflichtjahr für die gesamte Bevölkerung ab 18 auf Basis einer umfassenden Eignungsprüfung einzuführen. Hier würden die Generationen nicht gegeneinander ausgespielt, dennoch ließen sich Menschen mit nachgewiesenen Pflichten, Erkrankungen, usw. von der Dienstpflicht befreien. Obige 83-Jährige würde vermutlich nur noch Kaffee für den zivilen Katastrophenschutz kochen oder den Kindern der dortigen Einsatzkräfte vorlesen. Dennoch trügen die Boomer (wieder) maßgeblich zur gesellschaftlichen Wohlfahrt bei.


Quellen:

[1] DIW-Chef Fratzscher über Generationengerechtigkeit: „Wir sollten ein verpflichtendes soziales Jahr für alle Rentner einführen“, Spiegel 35/2025 vom 22.8.2025.

[2] 20-Uhr-Tagesschau vom 23.8.2025, 4‘37‘‘-7‘03‘‘, v.a. 5‘06‘‘ ff.

[3] „Spitzenreiter“ der Kinderlosigkeit ist derzeit Südkorea mit einer Fertilität von gerade noch 0,8. Chinas politische Umkehr von der Ein- zur Drei-Kind-Politik ist ohne drastische Zwangsmaßnahmen völlig realitätsfern – das Land erreicht gerade noch eine Fertilität von 1,3. Der Economist schrieb am 11.9.2025 in seinem Briefing „Humanity will shrink, far sooner than you think“, dass die Geburtenraten inzwischen weltweit sinken – also nicht mehr nur in reichen Ländern.

[4] Im Detail z.B. Tagesschau.de vom 22.8.2025, Ökonom Fratzscher fordert Pflichtdienst für Rentner.

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