Britta Kuhn
Vortrag des Postwachstums-Ökonoms Niko Paech am 11.10.2012 in Wiesbaden
„Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Apl. Prof. Dr. Niko Paech von der Universität Oldenburg erläuterte im überfüllten Pariser Hoftheater die Kernthesen seines aktuellen Buches gleichen Titels. Die Entgrenzung unserer Bedürfnisse sei weder sozial- noch nachhaltigkeitsverträglich, „grünes“ Wachstum eine Fiktion und ein neues Ausbalancieren zwischen Maßlosigkeit und Askese notwendig. Paech verdeutlichte die „Konsumverstopfung“ unserer heutigen Marktökonomie, die Plünderung der Welt und seine wesentlichen Vorschläge für eine schrumpfende Volkswirtschaft. In der anschließenden Diskussion zeigte er sich in alle politischen Richtungen kritisch, räumte mit Vorverurteilungen seines Konzepts auf und weckte Neugierde auf ein tieferes Studium seiner Thesen.
Bedürfnis-Entgrenzung und Fiktion „grünen“ Wachstums
Nach einer kurzen dogmengeschichtlichen Einordnung seines Vortrags beschrieb der ATTAC-Gast anhand mehrerer Beispiele, dass moderne Industriegesellschaften jedes Maß verloren hätten: So verschuldeten sich moderne Staaten exorbitant („zeitliche Entgrenzung“). Daneben übernähmen „Energiesklaven“, d.h. Maschinen wie zum Beispiel Laubsauger, vormals körperliche Arbeiten, wodurch wir die globale Ressourcen schonungslos plünderten („physische Entgrenzung“). Schließlich hingen wir restlos von fragilen globalen Versorgungsketten ab, bei denen die körperliche Schmutzarbeit der Bevölkerung armer Länder zugeschoben würde („räumliche Entgrenzung“). Diese Abkopplung unseres Konsums von unseren gegenwärtigen Möglichkeiten, unseren eigenen körperlichen Fähigkeiten und unseren örtlichen Ressourcen sei weder sozial gerecht, noch langfristig durchhaltbar. Paech glaubt auch nicht, dass technische Innovationen den Konflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung lösen können. Als Beispiele nannte er „Rebound-Effekte“, d.h. eine Verschlechterung der gesamten Ökobilanz durch gutgemeinten technischen Fortschritt wie verbrauchsarme Autos, die bisherige Fußgänger zur PKW-Nutzung motivieren.
Weniger ist mehr: Schöne neue Postwachstums-Welt
Sein Alternativansatz: In der Postwachstumsökonomie sinke die industrielle Marktproduktion, dafür steige die produktive Eigenleistung. Weniger und langlebigere Gebrauchsgüter ließen die materielle Wirtschaftsleistung zwar schrumpfen, machten das System aber widerstandsfähiger („Resilienz“) und uns persönlich glücklicher. Die Begrenzung unserer Bedürfnisse („Suffizienz“) stelle keinen Verzicht dar, weil der Engpass in modernen Industriegesellschaften weniger das Geld sei, sondern eher die Zeit. Wir alle gerieten durch immer neuen und zusätzlichen Verbrauch unter Stress, wie er am Beispiel der Smartphones verdeutlichte. Konsum sei neben dem Leistungsprinzip unserer Arbeitswelt inzwischen die zweite „Symbolik der kulturellen Anschlussfähigkeit“. Er plädierte demgegenüber für den Mut zu entrümpeltem und damit lustvollem Konsum („Reduktion“). Der Mensch solle die immer massivere Arbeitsteilung in Konsumenten und Produzenten vorsichtig zurückführen. Seine „Prosumenten“ kochen selbst, anstatt ins Restaurant zu gehen, sie nutzen Gärten und Rasenmäher gemeinschaftlich und verlängern die Nutzungsdauer ihrer Gebrauchsgegenstände dadurch, dass sie Gutes kaufen und reparieren („Subsistenz“). Paech kritisierte in diesem Zusammenhang Industrieprodukte, die bewusst so gefertigt werden, dass sich ihre Lebensdauer verkürzt („geplante Obsoleszenz”), und empfahl stattdessen die zunehmend erfolgreiche Internetseite „www.murks-nein-danke.de“. Prosumenten müssten nur noch 20 Stunden pro Woche in der Marktwirtschaft tätig sein, die anderen 20 Stunden arbeiteten sie im entkommerzialisierten Bereich. Paech betonte, dass er auch lebt, was er fordert: Sein Jackett sei vermutlich noch in Deutschland gefertigt (also ziemlich alt), sein Universitäts-Laptop beste Qualität (und daher teurer als Wegwerf-Geräte), sein Fahrrad schon vielfach repariert. Dass er auch ohne Auto, Flugreisen und Smartphone ein gutes Leben in der Mitte unserer Gesellschaft führt, erschien glaubwürdig.
Diskussion: Ist Paech ein naiver Idealist?
In der langen und vielschichtigen Aussprache distanzierte sich der Ökonom vom Kommunismus, denn „ein vergesellschafteter Schaden ist kein abgeschaffter Schaden“. Der Marxismus sei ökologisch unverträglich und die Marktwirtschaft werde in Paechs Modell auch nicht aufgegeben, sondern lediglich verkleinert zugunsten gemeinschaftlicher Produktionstätigkeiten innerhalb einer geldlosen Tauschwirtschaft. Dies widerspreche auch nicht dem Feminismus: Von der Rückführung der Erwerbsarbeit auf wöchentlich 20 Stunden würden vor allem die Frauen profitieren. Denn bisher seien ja die Männer keineswegs aus der professionellen Arbeitswelt zurückgewichen, sondern nur ein paar Frauen in diese Welt eingedrungen. Dass der Trend zwangsläufig zu kürzeren Arbeitszeiten ginge, verdeutlichte er am Beispiel Volkswagen. Dort hatte die Belegschaft nach der Finanzkrise kurz gearbeitet und die zusätzliche Freizeit nach Gewerkschaftsangaben für Gemeinschaftsaktivitäten genutzt. Die nächste Finanzkrise sei gewiss und würde härter ausfallen, so dass Kurzarbeit zur Regel werde. Er sei insofern auch kein Idealist, sondern glaube nach 30 Jahren Engagement eher an Kollaps-Szenarien, die sein Modell realistisch machen würden. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, das bereits umfassend auf afrikanische Ressourcen zurückgreife, beschleunige diesen Zusammenbruch und anschließenden Rückbau der Marktwirtschaft. Den Vorwurf, eine schrumpfende Ökonomie verkenne das Statusdenken insbesondere der Männerwelt, konterte er mit „Männer kommen nicht als Porsche-Fahrer zur Welt“ und dem Hinweis, dass auch ein Mountain-Bike zum Status-Symbol avancieren könne. Eine sinkende Wirtschaftsleistung sei auch nicht unsozial, denn in Industriegesellschaften gebe es keine absolute, sondern nur relative Armut. Daneben sei zunächst gar kein Verzicht, sondern nur eine Entrümpelung nötig. Die mit der Schrumpfung verbundenen Einnahmeverluste der öffentlichen Hand bei Steuern und Sozialabgaben ließen sich problemlos mit einem Subventionsabbau auf der Ausgabenseite auffangen. In seiner Welt bekämen gerade Ältere mehr Wert, die heutige Wissens- und Marktgesellschaft basiere dagegen auf purer Selektion. Schließlich befürwortete Paech die Ausbreitung regionaler Komplementärwährungen wie des schweizerischen WIR, kritisierte die Abkehr aller Parteien von der Verkehrswende und ging mit der Energiepolitik der Bundesregierung hart („Die Energiewende ist ein Witz!“) und kenntnisreich ins Gericht.
Fazit: Konsequenter Vertreter unbequemer Thesen
Paech passt in keine politische Schublade. Denn er denkt konsequent zu Ende und scheint zu leben, was er vorschlägt. Damit hebt er sich wohltuend von anderen „Predigern“ ab. Er öffnet Augen und zeigt, dass radikales Denken nicht fanatisch sein muss. Dies alles motiviert zum Weiterlesen.
[1] Niko Paech, „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“, München 2012. Buchrücken.