Boris Royko(boris.royko@googlemail.com)
Perspektiven einer Wirtschaft ohne Wachstum: Jahrestagung 2012 der VÖÖ
Die Vereinigung für Ökologische Ökonomie e.V. richtete vom 20.-22.9.2012 an der Universität Freiburg ihren diesjährigen Kongress zu der Frage aus, wie das Finanzsystem auf eine wachstumsfreie Wirtschaft ausgerichtet werden könne. Neben einer öffentlichen Podiumsdiskussion zum Thema „Geld, Wachstum, Verschuldung, Finanzchaos – wer blickt noch durch?“ wurde die Rolle des Geldes in drei Themenblöcken diskutiert, nämlich (1) „Analyse – Geld und Wachstumstreiber“, (2) „Lösungswege – Konzeptionen und theoretische Zugänge“ und (3) „Praxis – Regionalwährungen und darüber hinaus“.
Podiumsdiskussion: „Wir sind noch nicht stinkig genug!“
So das Resümee des Moderators Prof. Dr. Dirk Löhr, der die Podiumsdiskussion leitete. Im Rahmen der mit über 300 Gästen gut besuchten öffentlichen VÖÖ-Auftaktveranstaltung diskutierten vier sehr ähnlich ausgerichtete Referenten: Deutschlands (selbsternannter) bekanntester Finanzexperte Dirk Müller, die Komplementärwährungsexpertin Prof. Dr. Margrit Kennedy, der Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Helge Peukert und der Volkswirt Prof. Dr. Harald Spehl. Alle Referenten waren sich einig, dass die Problematik systemisch bedingt und die Verurteilung einzelner daher nicht zielführend sei. Es gebe ein grundsätzliches Verteilungsproblem und wir dürften unser Heil nicht in unendlichem Wirtschaftswachstum bei begrenzten Ressourcen suchen. Alle Diskutanten sahen das Hauptproblem in einer unzureichend aufgeklärten Bevölkerung und einer handlungsunfähigen Verwaltung.
Dirk Müller beispielsweise stellte zur Überwindung der Staatschuldenlast drei Möglichkeiten dar: Ein Haircut, wie zuletzt in Griechenland durchgeführt, Steuererhöhungen, oder Inflation. Die aktuelle Problematik liege in der Tatsache, dass durch die expansive Geldpolitik der Notenbank eine Inflation vorangetrieben werde, auf der anderen Seite die Löhne und Renten aber nicht mit anstiegen, was zu einer Verarmung großer Bevölkerungsteile führe. Professor Spehl ergänzte noch eine, zumindest theoretische, vierte Alternative: Wachstum. Um den derzeitigen deutschen Schuldenstand durch Wachstum abzubauen, bräuchte man jedoch die schon heute utopisch anmutende Wachstumsrate von fünf Prozent, konstant über 150 Jahre. Betont wurde auch, dass die öffentliche Debatte zu kurz greife, indem sie sich ausschließlich auf die Staatsschulden konzentriere. Die Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen sei gleichermaßen bedrohlich und der alleinige Abbau der Staatsschulden strecke das systemisch bedingte Verschuldungsproblem bloß. Hierzu gehöre das mit Zins behaftete Schuldgeld und die ausufernde Giralgeldschöpfung der privaten Geschäftsbanken.
Harald Spehl rechnete vor, dass die Staatsverschuldung heute mit Hilfe eines zweiten Lastenausgleichgesetzes zu überwinden sei. Da wir derzeit etwa zwei Billionen Euro Schulden hätten, sämtliche Vermögenswerte in Deutschland aber etwa 10 Billionen ausmachten, sei eine Steuer von 20 Prozent zu einem gewählten Stichtag denkbar. Wie nach dem zweiten Weltkrieg solle man zur Begleichung der Schuld einen längeren Zeitraum von etwa 20 Jahren haben, da die meisten Vermögenswerte illiquide seien.
Margrit Kennedy stellte Ihren Vorschlag als Kombination aus Monetative und Komplementärwährungen vor. Die Monetative ist ein Konzept von Professor Huber: Er fordert die Einführung einer vierten Gewalt im Staate, die unabhängig von der Regierung, aber in staatlicher Hand für die Geldpolitik verantwortlich wäre. In diesem Zusammenhang wurden auch über 100%-Geld (Irving Fisher) gesprochen. Dirk Müller konnte daher mit gewisser Ironie der aktuellen Geldpolitik der EZB auch etwas Positives abgewinnen: Schließlich sei man dem Gedanken der Monetative noch nie so nah gewesen. Die Finanzierung der Eurostaaten geschehe direkt, ohne den Umweg über die privaten Geldinstitute. Das Prinzip müsse eben nur noch zu Ende geführt werden.
Helge Peukert echauffierte sich gegen Ende der Podiumsdiskussion über die Gleichgültigkeit weiter Bevölkerungskreise gegenüber den angesprochenen Themen. Man müsse daher darüber nachdenken, ob das bestehende Wahlrecht noch sinnvoll sei. Nach dem vorhersehbaren Widerspruch aus dem Publikum entwickelte er seine provokative These weiter und forderte, den „Simplify“-Ansatz in das Finanzsystem zu übertragen. Schließlich seien schon Experten wie er mit der Flut an immer komplexeren Produkten und neuen Verordnungen überfordert. Dies führe letztlich dazu, dass in Zukunft die Demokratie in heutiger Form nicht mehr umsetzbar sei, da die Menschen über politische Entscheidungen abstimmen müssten, die sie schlicht nicht beurteilen könnten.
Die einzig klare Uneinigkeit entstand über Dirk Müllers These, dass wir noch keine gesättigten Märkte hätten. Es sei nur eine Definitionsfrage, wie man Wirtschaftswachstum definiere. Man müsse qualitatives Wachstum schlicht von zusätzlichem Ressourcenverbrauch entkoppeln. In der anschließenden Publikumsdiskussion wurde diese Theorie jedoch als utopisch kritisiert. Mitveranstalter Prof. Dr. Niko Paech von der VÖÖ (Postwachstumsökonom) und der Moderator Dirk Löhr, Professor für Ökologische Ökonomie, waren leider aufgrund ihrer Funktionen von der Diskussion ausgeschlossen.
Die Qualität des Abends lag also insgesamt weniger in Aufklärung oder dem Aufzeigen von Alternativen, sondern in der sichtbaren Einigkeit einer überraschend großen Gruppe und der damit verbundenen Hoffnung, dass sich die besprochenen Alternativen doch irgendwann durchsetzen könnten.
Wachstumszwang in der Geldwirtschaft?
Am nächsten Tag stellte zunächst Oliver Richters die Studie „Wachstumszwänge in der Geldwirtschaft“ vor. Die „Wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld“ untersucht darin mit einem Bilanzmodell eines zweistufigen Bankensystems, wie genau sich Zinserträge volkswirtschaftlich auswirken. Danach wird der Zins zu einem Wachstumszwang und lässt die Realwirtschaft labil werden, wenn die Zinserträge zur Einlagenbildung genutzt und nicht vollständig in die Realwirtschaft reinvestiert werden. Hieraus ergeben sich Anforderung an eine Geldreform, die eine schrumpfende Wirtschaft zulässt, ohne automatisch Krisen hervorzurufen. Die Autoren schlagen beispielsweise eine Trennung der Transaktions- und Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes vor.
Thema I: Analyse – Geld und Wachstumstreiber
Nach Dirk Löhrgibt es auch eine Korrelation aus Zins und ökonomischem Wachstumsdrang. Sie entspringe dem Verhältnis von Konsum- und Akkumulationssphäre (deren Summe das Volkseinkommen darstellt). Um über den Kapitalstock hinaus zu investieren, seien für den Produktivitätsfortschritt Nettoersparnisse notwendig. Wenn aber der eigentliche Sinn des Wirtschaftens der Konsum und nicht das Sparen/Investieren sei, müsse langfristig ein Sättigungsgleichgewicht bei 100 Prozent Konsum und Nullwachstum eintreten. Der 100-prozentige Konsum des Volkseinkommens würde dann aber zu einem sozialen Problem. Denn die Kapitalvermögen stiegen aufgrund der geforderten Verzinsung (Liquiditätsprämie). Da es aber wegen des fehlenden Wachstums nicht mehr zu verteilen gäbe, sinke das Arbeitseinkommen. Ein reformiertes Geldsystem reduziere zwar den Wachstumsdrang, böte aber noch keine hinreichende Lösung für eine nachhaltige Wirtschaft. Hierzu wäre eine umfassende Reform der Eigentumsverhältnisse notwendig, um sowohl die ökonomischen, sozialen als auch die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen.
Thema II: Lösungswege – Konzeptionen und theoretische Zugänge
Prof. Dr. Gerhard Scherhorn vertrat die These, dass „der Ansatzpunkt zur Ausschaltung von Wachstumszwang und Ressourcenschwund im Externalisierungsprivileg des Eigentumsrechts liegt“. Er sieht das Problem des Kapitalismus im Vorrang der endlosen Kapitalakkumulation. Mit „Externalisierungsprivileg“ meint er, dass Ersatzinvestitionen in den Erhalt verbrauchter Gemeingüter unterlassen würden. Dadurch entstünden “Externalisierungsgewinne“, welche die Kapitalakkumulation ermöglichten. Als Lösung sieht Scherhorn eine Erweiterung des § 903 BGB um einen zweiten Absatz. Hier solle festgelegt sein, dass Gemeinschaftsgüter regenerierbar bleiben, abgenutzte ersetzt und soziale wie kulturelle vor Ausbeutung geschützt würden.
Thema III: Praxis – Regionalwährungen und darüber hinaus
Zum Schluss stellte Christian Gelleri einen bereits realisierten Lösungsansatz vor. Der Initiator der erfolgreichsten deutschen Regionalwährung, dem Chiemgauer, arbeitete zunächst notwendige Funktionen eines Geldsystems in einer Postwachstumsökonomie heraus: Es sollte erstens als Spiegel des Ressourcenpotenzials suffizient sein, zweitens konsistent, also dauerhaft. Drittens müsse die Währung effizient sein, also eine schnelle und unkomplizierte Leistungserbringung zu fairen Preisen ermöglichen. Gelleri erläuterte die besonderen Eigenschaften der Chiemgauer Komplementärwährung und nannte die Vorteile einer entsprechenden Währung für Griechenland innerhalb des Euroraums: Die Kaufkraft bliebe im Land und eine höhere Umlaufgeschwindigkeit könne die inländische Wirtschaft beleben.
Gelungene Veranstaltung
Zu guter letzt wurde der Kapp-Forschungspreises 2012 verliehen. Diese mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung teilten sich die Umweltwissenschaftlerin Anja Humburg sowie der Soziologe Gerolf Hanke (Pressemitteilung).
Insgesamt hat sich die Reise nach Freiburg nach Ansicht des Verfassers durchaus gelohnt. Nicht nur die Auftaktveranstaltung war mit über 300 Zuhörern sehr gut besucht, sondern auch die weiteren Vorträge mit ca. 90 Teilnehmern. Die Vorträge der einzelnen Themenblöcke gingen im Gegensatz zur Podiumsdiskussion stark ins Detail, was auch die anschließenden Publikumsdiskussionen interessant machte. Schließlich sorgten auch die reibungslose Organisation und eine entspannte Atmosphäre für eine sehr gelungene Veranstaltung.