WAS WIRD AUS TTIP?


Britta Kuhn

Am 18.4. internationaler Anti-TTIP-Aktionstag, am 22.4. Handelsexperte Thomas Fritz in Wiesbaden[1]: Was haben die Menschen gegen das geplante Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen EU und USA? Und wird es kippen?

TTIP in der Kritik

Im August 2013 gab meine Studentin Nadja Altpeter ihre Abschlussarbeit zu TTIP ab[2]. Das Thema erschien mir zu trocken und bürgerfern, um es auf meinem Blog zu veröffentlichen. Was für eine Fehleinschätzung! Spätestens im Frühjahr 2014 war das geplante Transatlantic Trade and Investment Partnership im Europa-Wahlkampf angekommen. Auch in meiner Vorlesung entwickelte sich die Kontroverse zum Renner, da medial nun omnipräsent[3].

Die Gegner kritisieren vor allem dreierlei: (1) Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutz würden aufgeweicht – Stichwort „Chlorhühnchen“. (2) Private Schiedsgerichte seien undemokratisch, es drohten unkalkulierbar hohe Entschädigungszahlungen von Regierungen an Unternehmen. (3) Die Verhandlungen seien völlig intransparent.

Thomas Fritz zu TTIP & Co.

Der Referent ließ kein gutes Haar an TTIP. Extrem kenntnis- und detailreich zeigte er die Folgen des Abkommens anhand zahlreicher Beispiele auf, die sich bereits aus ähnlichen Vereinbarungen ergeben haben oder noch ergeben könnten. Als Blaupause diente ihm vor allem das deutsch-kanadische Comprehensive Economic and Trade Agreement CETA, das bereits kurz vor der Ratifizierung steht. Besonders negativ bewertete Fritz die privaten Schiedsgerichte ohne Berufungsinstanz und die Gefahr exorbitanter staatlicher Entschädigungszahlungen, falls die Politik z.B. Deregulierungen und Privatisierungen zurücknehmen oder nicht weiter vorantreiben wolle. In der intensiven Anschlussdiskussion verurteilte er unter anderem die restriktiven Annahmen ökonomischer Wachstumsschätzungen zu TTIP und bevorzugte grundsätzlich staatliche Wirtschaftstätigkeit gegenüber privatwirtschaftlichem Handeln. Die überwiegend anwesenden älteren Herren stimmten ihm zu, ein Diskurs war unerwünscht. Vielmehr lautete ihre Kernfrage, wie sich TTIP noch verhindern ließe.

Was sagt die Standard-Ökonomie?

Marktorientierte Ökonomen verweisen auf die Wachstumschancen des Abkommens, sehen diese zum Teil aber auch differenziert. Das Londoner CEPR errechnete z.B. im ehrgeizigsten Szenario ein zusätzliches verfügbares Jahreseinkommen für eine vierköpfige Durchschnittsfamilie von 545 € in der EU und 655 € in den USA. Nachteile für den Rest der Welt ergäben sich nicht, im Gegenteil profitierten Drittländer (z.B. von angeglichenen Standards)[4]. Das Münchener Ifo-Institut und die Bertelsmann-Stiftung kamen im Maximalszenario auf 2 Mio. neue Arbeitslätzen in der OECD (Deutschland: 110.000) und einen Realeinkommenszuwachs von 4,7% in Deutschland gegenüber sogar +13,4% in den USA. Bei allem Optimismus weisen sie aber auch auf gravierende handelsumlenkende Effekte zulasten der BRICS-Schwellenländer, Nordafrikas, Osteuropas und des Intra-EU-Handels hin[5]. Private Schiedsgerichte sind für Wirtschaftsliberale entweder gar kein Thema oder positiv zu bewerten, etwa weil dadurch Verfahren um Jahre verkürzt werden[6].

Wen kümmern Entwicklungsländer?

Die EU verhandelt nicht nur mit den USA, sondern mit vielen weiteren Staaten, v.a. auch mit Entwicklungsländern. Diese Economic Partnership Agreements (EPAs) genießen wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Vielleicht, weil es zu viele davon gibt oder weil die USA aus EU-Sicht wichtiger sind? Für arme Länder ist Handel mit der EU jedoch lebenswichtig. Handelsumlenkende Effekte zugunsten der USA oder von der EU diktierte Knebelverträge wirken sich hier desaströs aus. Auch Thomas Fritz verdeutlichte diese Asymmetrie in der Diskussion.

Fazit

Die TTIP-Kontroverse wird ungewöhnlich emotional ausgetragen. Natürlich lesen die wenigsten BürgerInnen die inzwischen veröffentlichten Verhandlungsdokumente[7], aber die Politik reagiert auf das verbreitete Unbehagen. So plant die EU gemäß Handelsblatt neuerdings „unabhängige Richter“ und eine Berufungsinstanz[8]. Dies ist ein Erfolg der Demokratie. TTIP wird meines Erachtens kommen, aber in deutlich veränderter Form. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Handelsabkommen öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und die in TTIP abgelehnten Regelungen nicht durch CETA oder das geplante Trans-Pacific Partnership TPP in Europa einziehen. Denn dann wäre von EU-Seite und vor Ort kaum noch Mitsprache möglich.


Quellen:

[1] TTIP, CETA, TiSA: Transatlantische Freihandelsabkommen auf dem Prüfstand. Vortrag von Thomas Fritz in Wiesbaden am 22.4.2015. Siehe auch ders., „International Investment Agreements Under Scrutiny“, Traidcraft 2015, http://www.tni.org/sites/www.tni.org/files/download/iias_report_feb_2015.pdf oder/und „TTIP vor Ort“, Campact ohne Datum, http://blog.campact.de/wp-content/uploads/2014/09/Campact_TTIP_vor_Ort.pdf (Zugriff beide 24.4.2015); ders., „TTIP, CETA, TiSA: Die Kapitulation vor den Konzernen“, Berlin, November 2014.

[2] Nadja Altpeter, „Vor- und Nachteile des geplanten Freihandelsabkommens ‚Transatlantic Trade and Investment Partnership‘ (TTIP) zwischen der EU und den USA“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 29.8.2013.

[3] Die mediale Entwicklung TTIPs zeichnen nach: Ralph Bollmann und Lisa Nienhaus, „Da läuft etwas aus dem Ruder“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 22.2.2015, S. 18 f.

[4] Joseph François et al., “Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment – An Economic Assessment”, Final Project Report, March 2013, v.a. S. vii, http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_150737.pdf (Zugriff 21.4.2015).

[5] Ifo Insititut: Gabriel Felbermayr et al., „Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommens zwischen der EU und den USA“, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, 8.2.2013, v.a. S. 4, http://www.bmwi.de/DE/Mediathek/publikationen,did=553962.html; Bertelsmann Stiftung: Gabriel Felbermayr et al., „Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) – Who benefits from a free trade deal?“, Part 1: Macroeconomic Effects, v.a. S. 42 f. und S. 14, Table 1, http://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/TTIP_1-en_NW.pdf (Zugriff beide 21.4.2015).

[6] Z.B. Friedrich Merz, „Warum wir Schiedsgerichte brauchen“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 8.2.2015, S. 18.

[7] Hendrik Kafsack, „Kaum jemand liest die TTIP-Dokumente“, Frankfurter Allgemeine Wirtschaft vom 16.4.2015, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/kaum-jemand-liest-die-ttip-dokumente-13542243.html (Zugriff: 21.4.2015).

[8] Gabor Steingart, Handelsblatt Morning Briefing 23.4.2015, Handelsblatt-MorningBriefing@kompakt.handelsblatt-service.com.

 

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