Britta Kuhn
Neben Borjas (vgl. dieser Blog vom 13.5.2016) haben sich weitere Forscher mit Migration beschäftigt, die Einwanderung weniger negativ einschätzen. Ist die Debatte ideologie- und interessengetrieben?
David Card und Rachel Friedberg: Einwanderung senkt heimische Löhne nicht
Seit 1989 zeigt der Berkeley-Ökonom Card in diversen empirischen Studien, dass Masseneinwanderung die Löhne einheimischer Arbeitnehmer nicht senkt. Typischerweise vergleicht er die Lohnentwicklung in Gegenden mit Einwanderung mit derjenigen in vergleichbaren Gegenden ohne Zustrom. Aufsehen erregte z.B. seine Studie zur unerwarteten Einwanderung zahlreicher Kubaner nach Miami im Jahr 1980: Trotz des durchschnittlich um 7% erhöhten Arbeitsangebots fand Card nicht einmal negative Auswirkungen auf geringqualifizierte US-Amerikaner und zuvor eingewanderte Kubaner[1]. Rachel Friedberg von der Brown University stellte ähnliche Ergebnisse für Israel fest: Ein Bevölkerungswachstum von 12% in der ersten Hälfte der 1990er Jahre durch Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion habe keinen negativen Effekt auf den israelischen Arbeitsmarkt gehabt[2].
Giovanni Peri: Einwanderung wirkt neutral oder positiv
Der Ökonom der UC Davis zeigte mit Mette Foged (Universität Kopenhagen) für Dänemark zwischen 1991 und 2008, dass Einwanderung geringqualifizierte Dänen in besser bezahlte Stellen brachte[3]. Mit Gianmarco Ottaviano (London School of Economics) errechnete der gebürtige Italiener Peri schon vor einem Jahrzehnt, dass selbst Einwanderer, die mit US-amerikanischen Schulabbrechern konkurrieren, deren Löhne zwischen 1980 und 2000 nur um maximal 0,4% gesenkt hätten. Tatsächlich seien Einwanderer und Einheimische nämlich keine perfekten Substitute gewesen, sondern hätten sich spezialisiert – z.B. Mexikaner auf Gartenarbeit, Einheimische dagegen z.B. auf das Holzfällen[4].
Weltbank und IZA
Forscher der Weltbank fanden für den Libanon und die Türkei bzw. Tansania positive Wachstumseffekte durch Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien bzw. Ruanda und Burundi[5]. Weniger positive Effekte ermittelten Untersuchungen des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA). Es verglich die Migration der osteuropäischen EU-Beitrittsländer zwischen 2004 und 2009 mit einem Szenario ohne Wanderung. Danach sank in den Herkunftsländern die Arbeitslosenquote durch Auswanderung langfristig nur um 0,05 Prozentpunkte und die Löhne stiegen geringfügig (0,3% in Tschechien bis maximal 2,4% in Polen). Besonders negativ sei der Verlust qualifizierter Arbeitskräfte gewesen, denn 83% der Emigranten hätten eine höhere Schule oder ein Studium abgeschlossen. Im Ausland würden die Migranten daneben vornehmlich unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt, so dass sie nach Rückkehr sogar ein fünfmal so hohes Risiko wie immobile Arbeitskräfte liefen, arbeitslos zu werden[6].
Ideologie- und interessengetriebene Debatte?
Die aktuelle Migrationsdebatte erscheint selbst innerhalb der Volkswirtschaftslehre nicht frei von Ideologie zu sein. Borjas wird z.B. wegen seiner einwanderungskritischen Ergebnisse gerne dem konservativen Lager zugerechnet, Card eher dem linken. Die Unterschiede manifestieren sich in der jeweils gewählten wissenschaftlichen Methodik: Im Oktober 2015 kritisierte Borjas z.B. Cards Miami-Studie u.a. hinsichtlich der ausgewählten Vergleichsstädte, rechnete neu und kam auf deutliche Lohnsenkungen für gering qualifizierte Einheimische. Peri wiederum bemängelt Borjas‘ Konzentration auf einheimische Männer zwischen 25 und 59 Jahren, die nicht aus Lateinamerika stammten. Bei einer breiteren Definition der Einheimischen verschwinde der negative Effekt der Immigration auf die einheimischen Löhne[7]. Erst im April 2016 kritisierten Card und Peri Borjas Migrationsbuch von 2014 als einseitig negativ gegenüber Einwanderung[8].
Auch Sonderinteressen treiben die Debatte. So publizieren auffällig viele arbeitgeber- bzw. regierungsnahe Institute wie die Bertelsmann-Stiftung die großen Vorteile der Immigration. Daneben nutzten führende deutsche Wirtschaftsforschungsinstitute die jüngste Einwanderungswelle, um den bei ihnen unbeliebten Mindestlohn zu schwächen[9].
Fazit der Autorin
Schon die theoretischen Wirkungen der Einwanderung sind im neoklassischen ökonomischen Modell unklar: Senkt das steigende Arbeitsangebot die Löhne Einheimischer? Oder steigt in der Folge auch die Arbeitsnachfrage, so dass die Löhne konstant bleiben oder sogar wachsen? Empirisch kommt es dann auf die im Einzelfall gewählte Methodik an. Deshalb ist größte Vorsicht hinsichtlich jeder Studie geboten. Die Auswirkungen von Migration sind kompliziert, einfache Antworten dienen höchstens dem politischen Stimmenfang oder wirtschaftlichen Sonderinteressen.
[1] David Card, “The Impact of the Mariel Boatlift on the Miami Labor Market”, Industrial and Labor Relations Review, Vol. 43, No. 2. (Jan. 1990), pp. 245-257, http://davidcard.berkeley.edu/papers/mariel-impact.pdf (Abruf 25.4.2016).
[2] Rachel Friedberg, z.B. “The Impact of Mass Migration on the Israeli Labor Market“, Brown University and NBER, August 1997, https://www.brown.edu/academics/economics/sites/brown.edu.academics.economics/files/uploads/96-28.pdf (Abruf 25.4.2016).
[3] Mette Foged und Giovanni Peri, z.B. „Immigrants’ Effect on Native Workers: New Analysis on Longitudinal Data”, IZA Discussion Paper No. 8961, March 2015, http://ftp.iza.org/dp8961.pdf (Abruf 25.4.2016).
[4] Zusammengefasst nach: The Economist, „Myths and migration. Do immigrants really hurt American workers’ wages” 6.4.2006, http://www.economist.com/node/6771382; ähnlich für 1990-2004: Gianmarco I.P. Ottaviano und Giovanni Peri, “Rethinking the Effects of Immigration on Wages”, NBER Working Paper No. 12497, August 2006, http://www.parisschoolofeconomics.eu/docs/ydepot/semin/texte0607/OTT2006RET.pdf (Abruf beides 25.4.2016).
[5] Zusammengefasst nach: Jens Münchrath, Torsten Riecke, Axel Schrinner, „Die neue Wirklichkeit“, Handelsblatt vom 30.10.2015, S. 42-45, S. 44.
[6] Zusammengefasst nach: Eva-Maria Hommel, „Wenn die Besten gehen“, Handelsblatt vom 24.11.2014, S. 13.
[7] Zusammengefasst nach: Norbert Häring, „Drücken Flüchtlinge die Löhne?“ und „Glaube nur den eigenen Manipulationen!“, Handelsblatt vom 1.2.2016, S. 10.
[8] David Card und Giovanni Peri, „Immigration Economics: A Review“, April 2016, http://davidcard.berkeley.edu/papers/card-peri-jel-april-6-2016.pdf (Abruf 18.4.2016).
[9] Z.B. Herbstgutachten 2015 der Wirtschaftsforschungsinstitute oder ifo-Insititut, zitiert nach Jens Münchrath et al., a.a.O., S. 45.