Britta Kuhn
Marie-Claire Schwarz‘ Bachelor Thesis diskutiert, was für und gegen Arbeitszeitverkürzungen spricht[1]
Kommt bald die geschlechtergerechte 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich? Oder ist das eine Utopie, die unbezahlbar ist, zu Personalmangel führt und (noch) mehr stresst?
Ursprünge der „Work-Life-Balance“
Schon 1930, zur Zeit der großen Depression und damit verbundener Massenarbeitslosigkeit, kündigte John Maynard Keynes die 15-Stunden-Woche für die Enkelgeneration an. Noch 90 Jahre später kommt die Diskussion einer doppelt so langen 30-Stunden-Woche praktisch nur in „linken“ Medien vor und bei Ökonomen, die nicht wirklich zum neoklassischen Mainstream gehören.[2] Die Thesis nimmt sich der Idee an: Ausführlich erläutert sie insbesondere verschiedene Modellrechnungen von Heinz-Josef Bontrup. Der Wirtschaftswissenschaftler zeigt theoretisch, wie sich kürzere Arbeitszeiten je nach Annahmen auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung und die Lohn- bzw. Gewinnquote auswirken würden. Dabei argumentiert er keynesianisch, unterstellt also z.B. konstante Absatzpreise und die Möglichkeit eines vollen Personalausgleichs. In seinem einfachsten Modell entspricht die Arbeitszeitverkürzung der Produktivitätssteigerung, so dass sich die zusätzlich Beschäftigten von selbst finanzieren.[3]
Ideologisch vermintes Gelände
Befürworter kürzerer Normalarbeitszeiten verbinden damit u.a. weniger Stress und Krankenstände, Produktivitätsgewinne, mehr Geschlechtergerechtigkeit (also eine Umverteilung unbezahlter Familienarbeit von Frau zu Mann und umgekehrt für Erwerbsarbeit), einen Abbau von Massenarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern, aber auch eine Konjunkturbelebung durch mehr bezahlte Freizeitaktivitäten. Auch die Steuer- und Sozialversicherungssysteme könnten von höheren Einnahmen bzw. niedrigeren Ausgaben profitieren. Kritiker befürchten u.a. höhere Preise, wachsende Arbeitslosigkeit mangels Wettbewerbsfähigkeit und künftigen Fachkräftemangel.[4]
Erfahrungen aus Göteborg und Bielefeld
In Schweden verkürzte das Göteborger Toyota-Werk schon vor 15 Jahren die Schicht von acht auf sechs Stunden, weitere ortsansässige (staatliche und private) Arbeitgeber folgten. In Deutschland führte die Bielefelder Kommunikationsagentur Digital Enabler den 5-Stunden-Tag ein. Der Lohn pro Mitarbeiter blieb in allen Fällen gleich. In Göteborg kam es – außer bei Toyota – zu Neueinstellungen. Durchweg sanken die Krankenstände und stieg die Produktivität. Auch das Bielefelder Startup verzichtete auf Neueinstellungen, was offenbar zu verdichteter Arbeitsweise führte – ein Phänomen, das die Befürworter kürzerer Normalarbeitszeiten gerade abbauen wollen.[5]
Fazit
Die Thesis plädiert letztlich für kürzere Arbeitszeiten.[6] Allerdings verdeutlicht sie auch, wie unklar deren tatsächliche Wirkungen bleiben: Werden mehr Menschen Arbeit finden? Oder nur Fachkräfte? Werden Frauen künftig weniger unbezahlt und mehr bezahlt arbeiten? Mutige Praxisversuche innovativer Unternehmen böten Antworten und damit echten Erkenntnisgewinn.
Quellen:
[1] Marie-Claire Schwarz, „Hat der Acht-Stunden-Tag ausgedient? Verkürzung des Arbeitstags bei gleichem Lohn“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 9.3.2018.
[2] Anmerkungen Kuhn. Zur 15-Stunden-Woche vgl. John Maynard Keynes, Economic Possibilities for our Grandchildren, 1930, in: Essays in Persuasion, New York 1963, pp. 358-373.
[3] Soweit nicht anders angegeben: Vgl. detailliert Marie-Claire Schwarz, a.a.O., v.a. Kap. 3.2, 5.5 und Anhänge.
[4] Vgl. detailliert: Marie-Claire Schwarz, a.a.O., Kap. 3 und 5.
[5] Vgl. detailliert: Marie-Claire Schwarz, a.a.O., Kap. 4, 5.1 und 5.2.
[6] Vgl. Marie-Claire Schwarz, a.a.O., Kap. 6.