CHINAS GESCHICHTE FÜR ANFÄNGER

Britta Kuhn

Warum heißt China „Reich der Mitte“? Was macht seine Historie einzigartig? Warum überholten der Westen und Japan das Land? Welchen Kurs verfolgt China seit 40 Jahren? Wird das 21. Jahrhundert chinesisch?[1]

Das Reich der Mitte

Der Begriff steht für Chinas Selbstverständnis, der Nabel der Welt zu sein. Schon 2000 bis 1000 Jahre v. Chr. verfügte das Land über Schrift, Streitwagen und umwallte Städte. Es verkrafte zahlreiche Übergriffe, vor allem aus dem Norden: So unterwarf der Mongolenherrscher Kublai Khan im 13. Jahrhundert n. Chr. erstmals Gesamtchina (Yuan-Dynastie, 1271-1368). Im 17. Jahrhundert kamen erneut Eindringlinge an die Macht, nämlich die Mandschu (alias Dschurdschen), deren Qing-Dynastie erst 1912 der Republik wich. Die Eroberer griffen überwiegend auf bestehende Verwaltungsstrukturen zurück, ohne die das riesige Reich nicht zu regieren war. Auch übernahmen sie vielfach die chinesische Hochkultur, „sinisierten“ sich also mehr oder weniger freiwillig.

Einzigartige Historie, aber auch gravierende Fehlentwicklungen

Konfuzius und Lao-Tse prägten ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. Chinas Geschichte und Gesellschaft. Jahrhundertelang rangen Konfuzianismus und „Legalismus“ um die Vorherrschaft. Während legalistische Dynastien die Gesellschaft streng organisierten, militarisierten und überwachten, förderte der (Neo-)Konfuzianismus einheitlich ausgebildeten Beamte statt Krieger. Streckenweise erwies sich dieser Bildungskanon als fortschrittsfeindlich: Zwar erlebte China wichtige Phasen kultureller Blüte, nämlich unter Kaiser Xuanzong (Tang-Dynastie, 618-907), im 12. bis 13. Jh. (Song-Dynastie 960-1279), fast durchweg während der Ming-Dynastie (1368-1644) und nochmal Anfang des 18. Jahrhunderts (Qing-Dynastie, 1644-1912). China erfand in diesen Phasen z.B. früher als Europa den Buchdruck, wurde die erste „globale“ See- und Handelsmacht oder diente den französischen Enzyklopädisten als Vorbild. Aber eine nach innen gerichtete (sinozentristische), rückwärtsgewandte und damit fortschrittsfeindliche Haltung zerstörte diese frühen Erfolge immer wieder. So vernichtete z.B. Kaiser Qianlong im 18. Jahrhunderte über 2000 Bücher und damit auch viel naturwissenschaftlich-technisches Wissen. Inzwischen war der Westen aber aufgewacht und zeichnete sich durch beispiellose Industrialisierung, Sendungsbewusstsein und entsprechendes Hegemonialstreben aus. China dagegen verschlief die erste industrielle Revolution.

Imperialistische Demütigung

Im 19. Jahrhundert funktionierte daher die Sinisierung fremder Eindringlinge nicht mehr: Von Süden stießen westlichen Seemächte vor, vor allem Großbritannien. Das Reich der Mitte erwies sich als militärisch restlos unterlegen. Dies zeigte der erste Opiumkrieg (1840-1842) sehr deutlich. Auch ehrgeizige industrielle Spätstarter wie Deutschland und Japan machten sich diese Schwäche zunutze und kolonialisierten China von Osten aus bis zum Ende des ersten bzw. zweiten Weltkriegs. Denn auch im Kampf gegen innere Feinde waren die letzten Qing-Kaiser auf ausländische militärische Unterstützung angewiesen.

Kommunismus zwischen Radikalität und Pragmatismus

Als am 1.10.1949 die Volksrepublik ausgerufen wurde, lag ein gutes Jahrhundert innerer Rebellionen und Kriege hinter China. Allein der Taiping-Aufstand (1850-1864) tötete ca. 20 Mio. Menschen. Nach Ausrufen der Republik (Sun Yat-sen, 1912) konkurrierten im wesentlichen regionale Warlords, Republikaner, Kommunisten und japanische Besatzer um die Vorherrschaft. Nach langem Kampf flohen die Republikaner unter Tschiang Kai-Schek 1949 nach Taiwan und Mao Zedong herrschte bis 1976 über China. Wirtschaftlich besonders prägend wirkte sein „Großer Sprung“, gesellschaftliche die „Kulturrevolution“. Der große Sprung sollte China schnell industrialisieren. Darunter litt die hungernde Landbevölkerung – Schätzungen reichen bis zu 55 Mio. Toten zwischen 1959 und 1961. Die Kulturrevolution diente zwischen 1966 und 1976 dazu, Chinas Traditionen endgültig auszumerzen. Von diesem gigantischen Umerziehungslager erholt sich die Gesellschaft nur langsam.

Mit Deng Xiaoping folgte auf Mao ein Weggefährte, der China für Wirtschaftswachstum öffnete. Allerdings führte dies auch zu Aufständen, deren bekannteste am 4.6.1989 blutig niedergeschlagen wurden. Insgesamt hat sich China in den letzten 40 Jahren von einem der ärmsten Entwicklungsländer zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickelt.[2] Längst ist das Reich nicht mehr die Werkbank der Welt, sondern gibt bei Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und Elektromobilität den Ton an. Eine straffe Industriepolitik und der weitgehende Verzicht auf Menschenrechte und Datenschutz westlicher Art helfen enorm. Die Bevölkerung sieht diese Entwicklung eher positiv, fördert sie doch den lange ersehnten Wohlstand im einzig relevanten Diesseits.

Ausblick: Eindämmung durch die USA oder multipolare Weltordnung?

Bisher haben die USA viele Verbündete in Asien, die – wie die Vereinigten Staaten selbst – Chinas wachsenden Einfluss misstrauisch verfolgen und begrenzen wollen. Beijing versucht umgekehrt, durch infrastrukturelle und militärische Expansion in Eurasien, Afrika und dem Nahen Osten relevanter zu werden. Die USA müssen vermutlich diese zweite Weltmacht akzeptieren, zumindest in Asien. Eine Konfrontation könnten sie genauso wenig gewinnen wie China. Die asiatischen und europäischen Mittelmächte werden sich daher mit beiden Machblöcken arrangieren.

Zum Weiterlesen

(Baron/Yin-Baron, 2018) bieten einen guten Einstieg und Überblick ohne Jahreszahlen; (Fülling, 2006) fasst wesentliche historische Ereignisse für China-Reisende übersichtlich zusammen; (Kinder/Hilgemann, 1994) bieten in ihrem Standardwerk alle wichtigen Entwicklungen hochkonzentriert; (Kissinger, 2011) überzeugt mit Detailwissen aus der jüngeren chinesischen Geschichte; (Spence, 2008) erklärt sämtliche historische Details zwischen dem 17. Jahrhundert und 1989.

[1] Anmerkungen: Die Schreibweise von Namen unterscheidet sich nach Quelle mitunter stark. Als Quellen dienten verschiedene geschichtliche Werke, deren Essenz hier zusammengetragen wird.

[2] Gemessen in nominalen US-Dollar. Die Weltbank bezeichnet China schon seit Jahren als größte Volkswirtschaft, da sie mit der Kaufkraft eines US-Dollars in China bzw. den USA rechnet.

Literatur

Baron, S., Yin-Baron, G., Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht, Berlin 2018.

Fülling, O., China. [mit Reiseatlas & Routenkarten ; individuell reisen!], 1. Aufl., Ostfildern 2006.

Kinder, H., Hilgemann, W., Dtv-Atlas zur Weltgeschichte, 28. Aufl., Munchen 1994.

Kissinger, H., China. Zwischen Tradition und Herausforderung, München 2011.

Spence, J. D., Chinas Weg in die Moderne, München 2008.

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