Britta Kuhn
Täglich erscheinen neue China- und Asien-Bücher. Hier die Auswahl „Chinas Bosse“, „China verstehen“, „Asia 2030“, „China’s asian dream“, „Zukunft? China!“ und „Aspekte des sozialen Wandels in China“. Grenznutzen: abnehmend.
„Chinas Bosse“: Lehrreiche Porträts chinesischer Großunternehmen
Der Wirtschaftsreporter (Hirn, 2018) bietet vor allem nützliche Informationen über Chinas Staats- und Privatkonzerne: Wie sie gelenkt werden, warum sie uns im Westen zunehmend unter Druck setzen werden, woher ihre Manager kommen und wie diese ticken. Besonders zukunftsrelevant erscheint das Kapitel über die digitale Konkurrenz: Neben bekannten Internetfirmen wie Alibaba mit Alipay, Tencent mit WeChat bzw. WeChat Pay, Baidu und Didi Chuxing erklärt das Buch viele weitere, z.B. NetEase, Mobike und Ctrip. En passant erfahren westliche Leser einiges über dynamische Wirtschaftsmetropolen wie Hangzhou im Osten, Shenzhen im Süden oder Xi’an im Nordwesten. Auch gewöhnen sie sich an chinesische Namen wie Ma Huateng und Liu Qiangdong, die im Westen als „Pony Ma“ von Tencent und „Richard Liu“ von JD.com bekannter sind. Schließlich lernen sie, dass auch in China nur wenige Frauen mächtige Unternehmen führen – und diese wie im Westen häufig einflussreiche Väter haben: z.B. Liu Qing alias „Jean Liu“, deren Vater Lenovo gründete.
Insgesamt informiert das Buch recht unterhaltsam über viele wichtige Unternehmen, ihren Aufstieg und ihre Zukunftsperspektiven außerhalb Chinas. Dabei spart der Autor nicht mit Kritik, warnt den Westen aber auch vor Überheblichkeit und Ignoranz hinsichtlich des chinesischen Weges. Schon 115 der 500 größten Unternehmen kämen aus China: „Aus der Fabrik der Welt ist zunehmend das Labor der Welt geworden.“[1]
„China’s asian dream“: Geopolitischer Überblick eines kritischen Kenners
Der „senior analyst“ bei Gavekal Research (Miller, 2017) zeigt, wie China unter Xi Jingping zu einer proaktiven Asienstrategie gewechselt hat. Als Vehikel dieser systematischen Expansion beschreibt er wesentliche Finanz- und Infrastrukturinitiativen unter chinesischer Führung oder Beteiligung. Sie gehören oft, aber längst nicht immer zur Initiative „Neue Seidenstraße“. Detailliert und kritisch-analytisch erläutert der langjährige Asien-Journalist z.B. neue Finanzvehikel der Chinesen, etwa die Asian Infrastructure Investment Bank AIIB. Sie wurde als Gegengewicht zu IWF und Weltbank gegründet, in denen die USA den Ton angeben. Ausführlich kommen Chancen, aber auch politisch-finanzielle Risiken der chinesischen Wirtschaftsexpansion zu Wort: Im Westen Richtung Zentralasien und Russland; im Süden Richtung Laos, Kambodscha und Myanmar; im Indischen Ozean Richtung Pakistan, Indien und Srik Lanka; schließlich im südchinesischen Meer. Regionale Landkarten erleichtern das Verständnis.
Insgesamt unterscheidet sich das Buch wohltuend vom oft euphorischen Einheitsbrei deutschsprachiger Journalisten. Denn Miller vertieft wie kein anderer, warum Chinas Auslandsexpansion durchaus scheitern könne. Oft hänge die Zusammenarbeit nämlich an fragilen und autoritären Regierungen, z.B. in Pakistan. Die Bevölkerung vieler Nachbarstaaten sei dagegen aus historischen Gründen oft schlecht auf chinesische Einflussnahme zu sprechen. Unter anderem für Myanmar zeigt der Autor, wie schnell eine weniger autoritäre Regierung teure Infrastrukturinvestitionen obsolet machen kann. Leider ist das Buch nicht mehr ganz aktuell, was bei Chinas atemberaubenden Expansionstempo tatsächlich ein Problem darstellt.
„Zukunft? China!“: Appetitanreger für China-Einsteiger
Der in Bejing lebende Wirtschaftsjournalist (Sieren, 2018) beschreibt Chinas ökonomische und politische Expansion umfassend und leicht verständlich. Wer die deutsche Wirtschaftspresse zum Thema China in den letzten Jahren verfolgt hat, wird viel Vertrautes finden, wobei der Handelsblatt-Korrespondent leider nur ausnahmsweise Quellen offenlegt. Seine Zielgruppe dürften vornehmlich Laien und Politiker ohne wirtschaftliche Vorkenntnisse zum Reich der Mitte sein. Für Betriebs- und Volkswirte sind aber auch viele Einzelfälle interessant, vor allem in Kapitel 4 bis 6. Dort geht es um Xi Jingpings radikale politische Reformen, Chinas unterschätzte Innovationskraft und um Infrastrukturprojekte im Rahmen der Neuen Seidenstraße.
Insgesamt bietet das Buch zahllose Anekdoten, die wohl dreierlei zeigen sollen: Erstens gewinnt China in atemberaubendem Tempo wirtschaftliche und damit politische Weltgeltung. Zweitens ist dem Reich der Mitte und seinen Partnern weltwirtschaftliche Mitbestimmung wichtiger als nationale Demokratie und Menschenrechte nach westlichem Standard. Drittens beschäftigt sich der Westen vornehmlich mit sich selbst und sollte endlich zu einer klaren Haltung gegenüber der chinesischen Expansion finden.
„China verstehen“: Kritik der US-Eindämmungspolitik
(Fitzthum, 2018) konzentriert sich auf die geopolitische Rivalität zwischen Platzhirsch USA und dem aufstrebenden China. Kapitel 1 fasst die wirtschaftliche Lage zusammen, Kapitel 2 ökonomische Abwehrmaßnahmen der USA. Kapitel 3 erklärt Chinas Außenpolitik, Kapitel 7 sein Militär. Schwerpunkt des Buches stellt die US-Sicherheitspolitik in Asien dar: Ihre historische Entwicklung und Begründung (Kap., 4), welche regionalen Konflikte aus ihr folgen (Kap. 5) und wie die USA die politische Schwächung der chinesischen Regierung betreiben (Kap. 6).
Wer die im Westen verbreitete Anti-China-Brille gegen eine Anti-USA-Brille tauschen möchte, wird bei Fitzthum fündig: Der gebürtige Österreicher lebt seit 2013 im Reich der Mitte und möchte der in Europa überwiegend einseitig-negativen Berichterstattung über China entgegenwirken. Seine zahlreichen Sachinformationen machen den geostrategischen Expansionspfad des Landes verständlicher. Aber auch er scheut nicht vor Polemik zurück, z.B. in der Tibet-Frage.
„Asia 2030“: Etwas Länderkunde, viel Beiwerk
Der Wirtschaftsanwalt (Pilny, 2018) bietet eine asiatische Tour d‘horizon mit Schwerpunkt China. Für Asien-Einsteiger sind vor allem die Länderprofile in Teil I („Neue Mächte“) nützlich. Sie enthalten wichtige historische Hintergründe, die eine wirtschaftliche Rolle spielen: Z.B. plant China im Rahmen der Neuen Seidenstraße eine Landverbindung von Westchina in den pakistanischen Hafen Gwadar. Der Weg durchquert Kaschmir, eine Konfliktregion zwischen Indien und Pakistan. Auch über Japan, Südkorea, Vietnam, Singapur und ASEAN-Staaten wie das bevölkerungsreiche Indonesien erfährt man viel. Eher zäh lesen sich dagegen die makroökonomischen Zahlenreihen (lange Prosa statt kurzer Tabellen), Teil II (Chinas wirtschaftliche Entwicklung und Standardthemen der BWL wie Industrie 4.0) und Teil III (Chinas gesellschaftliche Entwicklung und „ein Kessel Buntes“ zu ASEAN und EU). Manchmal setzt der Autor auch viel voraus: Was bieten z.B. die chinesischen Firmen BBIC und BYD? Anderes hätte näherer Erläuterung bedurft: Z.B. dass das Freihandelsabkommen TPP „weitaus mehr als ein einfaches Zollabkommen“ sei.[2] Insgesamt werden viele Leser mit Auszügen des Buches auskommen.
„Aspekte des sozialen Wandels in China“: Fallstudien für Soziologen
Der Sammelband (ASPEKTE DES SOZIALEN WANDELS IN CHINA, 2018) verdeutlicht den rasanten gesellschaftlichen Umbruch im Reich der Mitte. Tiefeninterviews und detailreiche Einzelfallbeschreibungen informieren über Familie, Bildung, Arbeit und Identität. Wer sich für Spezialthemen wie z.B. die chinesische Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao und ihre Begleitumstände interessiert, wird fündig.
Allerdings richten sich die Beiträge schon rein sprachlich eher an akademisch tätige Soziologen als an Praktiker.[3] Inhaltlich bieten sie anekdotische statt empirisch abgesicherte Evidenz und überschneiden sich stark. So thematisieren allein drei Kapitel die „eiserne Reisschüssel“, also die traditionell enge Bindung chinesischer Arbeitskräfte an ihre Arbeitgeber.[4]
Fazit
Wie immer, wenn man sich in neue Themen einliest, gilt auch hier: Der Grenznutzen weiterer Lektüre sinkt. Wesentliche Einsichten boten mir persönlich v.a. „Chinas Bosse“ und „China’s asian dream“.
Literatur
ASPEKTE DES SOZIALEN WANDELS IN CHINA. Familie, bildung, arbeit, identitt, [S.l.] 2018.
Fitzthum, R., China verstehen. Vom Aufstieg zur Wirtschaftsmacht und der Eindämmungspolitik der USA, Wien 2018.
Hirn, W., Chinas Bosse: Unsere unbekannten Konkurrenten, [Place of publication not identified] 2018.
Miller, T., China’s asian dream, [Place of publication not identified] 2017.
Pilny, K., Asia 2030. Was der globalen Wirtschaft blüht, 1. Aufl., Frankfurt 2018.
Sieren, F., Zukunft? China! Wie die neue Supermacht unser Leben, unsere Politik, unsere Wirtschaft verändert, 1. Aufl., München 2018.
[1] Vgl. Hirn, a.a.O., S. 8.
[2] Vgl. Pilny, a.a.O., S. 37 (BBIC und BYD) bzw. S. 117 (TPP).
[3] Vgl. z.B. S. 309 „das kontextualisierende Narrativ“.
[4] Vgl. z.B. Kapitel 4, S. 100; Kapitel 6, S. 189 und Kapitel 7, S. 209.