Britta Kuhn
Anne Quendts Bachelor-Thesis analysiert grüne und liberale Umweltpläne[1]
Vor CDU/CSU und SPD konkretisierten die Grünen eine CO2-Steuer und die FDP ein Handelssystem für CO2-Verschmutzungsrechte. Beide Vorschläge gehen weit über die Koalitionsbeschlüsse hinaus.
Alter Ökonomen-Wein in neuen politischen Schläuchen
Zu den Grundlagen der neoklassischen Volkswirtschaftslehre gehört seit Jahrzehnten die Externalitätentheorie. Jedes einführende Lehrbuch erklärt auch, wie sich Umweltzerstörung am besten auf ein gesellschaftlich optimales Niveau senken ließe: Durch Besteuerung oder einen Handel mit Verschmutzungsrechten.[2] Als erste Bundestags-Parteien legten Grüne und FDP ausgearbeitete Konzepte vor.[3]
Die Grünen planen für Deutschland eine CO2-Steuer von zunächst 40 € je Tonne. Sie soll den aktuellen Verschmutzungsrechtehandel der EU ergänzen. Dieser deckt bisher 40% der europäischen CO2-Verschmutzung ab, denn er erfasst nur große Energie- und Industrieunternehmen. Für den EU-Handel soll nach Ansicht der Grünen künftig ein Mindestpreis von zunächst ebenfalls 40 € je Tonne gelten – und zwar in einer Koalition freiwillig teilnehmender EU-Staaten. Langfristig stiegen Steuer und Handelspreise planbar auf die tatsächlichen Verschmutzungskosten und gälten weltweit. In der Zwischenzeit würden WTO-konforme Grenzausgleichsmaßnahmen für die Vorreiter-Staaten gelten. Die Stromsteuer soll sinken, um erneuerbare Energien relativ zu fossilen Brennstoffen attraktiver zu machen und die Bürger finanziell nicht zusätzlich zu belasten. Hierzu dient auch eine rückzahlbare Kopfpauschale.[4]
Die Liberalen bevorzugen einen Handel mit CO2-Emissionsrechten: Der aktuelle EU-Zertifikatehandel soll z.B. den deutschen Verkehrs- und Wärmesektor einbeziehen, mit weiteren regionalen Handelssystemen verknüpft werden und langfristig weltweit gelten. Die FDP will im Gegenzug mehr Verschmutzungsrechte anbieten, energieintensiven Unternehmen kostenlose Zertifikate zusichern und weiterhin Gutschriften aus Umweltprojekten in Entwicklungsländern erlauben. Das „Downstream“-Emissionshandelssystem der EU, bei dem die CO2-Verbraucher Rechte an- und verkaufen, will die Partei bei Verkehr und Wärme mit einem „Upstream“-Ansatz verknüpfen: Nicht die CO2-Verbraucher würden hierbei handeln, sondern Produzenten und Importeure. Um Bürger und Unternehmen nicht zusätzlich zu belasten, soll die Stromsteuer sinken und die EEG-Umlage entfallen.[5] Deutschlands EEG-Umlage finanziert bislang die subventionierten Mindestpreise und Abnahmegebote für erneuerbare Energien.
Grünes und liberales Konzept im Vergleich
Die Thesis evaluiert die Parteivorschläge mittels fünf Kriterien: (1) Die Lenkungswirkung wäre bei der FDP besser: Schon in der anfänglichen EU-Phase würde am wenigsten verschmutzt, wo dies am billigsten erreichbar wäre. Bei den Grünen dagegen würden nur Deutschland und die weiteren EU-Vorreiter ökologischer agieren. Für die restlichen EU-Länder würde Verschmutzung wegen der sinkenden Nachfrage nach diesen Rechten billiger, obwohl vielleicht gerade diese Volkswirtschaften kostengünstiger hätten sparen können. (2) Bei der Planungssicherheit liegen die Grünen vorne: Sie stellen einen anfänglichen Steuer- bzw. Mindestpreis von 40 € in Aussicht, während bei der FDP die Marktpreise wie in der Vergangenheit oder noch stärker schwanken würden. (3) Der grüne Vorschlag erscheint auch politisch umsetzbarer, weil er rechtlich unproblematisch ist. Das Upstream-Downstream-System der FDP ist zwar ökonomisch sinnvoll, könnte aber Doppelbelastungen und Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen. (4) Bei der sozialen Gerechtigkeit ähneln sich beide Konzepte, versprechen Aufkommensneutralität und wollen auf keinen Fall regressiv wirken. Die Bürger würden also insgesamt nicht stärker als heute zur Kasse gebeten und Reiche auch relativ zu ihrem höheren Einkommen nicht weniger bezahlen als Arme. (5) Die Wettbewerbswirkung wäre bei beiden Vorschlägen gleichermaßen durchwachsen: So könnten die Grenzausgleichsmaßnahmen der Grünen bzw. die kostenlosen Zertifikate der FDP an energieintensive Anlagen Konsum bzw. Produktion in ökologisch schwächer bepreiste Länder bzw. Industrien verlagern. Andererseits würde die Verteuerung der Umweltverschmutzung in beiden Konzepten ökologische Innovationen beflügeln.[6]
Fazit der Thesis
Die tatsächlichen CO2-Verschmutzungskosten liegen bei geschätzt 180 € je Tonne. Die bisherigen Verschmutzungspreise im EU-Handel lagen mit maximal 28 € weit darunter. Aber selbst bei 180 € sänke der CO2-Ausstoß nicht dramatisch, falls die Nachfrage kaum auf die Steuererhöhungen reagieren würde. Das zeigen beispielhafte Berechnungen der Autorin für Heizöl.[7] Sie hält den FDP-Vorschlag zwar insgesamt für konsequenter. Geringere politische Hürden räumt sie aber in näherer Zukunft dem Konzept der Grünen ein.
[1] Anne Quendt, „CO2-Steuer für Deutschland? Eine kritische Analyse ausgewählter aktueller Vorschläge“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 28.8.2019.
[2] Vgl. N. Gregory Mankiw und Mark P. Taylor, „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“, 7. Aufl., Stuttgart 2018, Abschnitte 11.1-11.5, S. 323-347. Bei Anne Quendt, a.a.O., in Abschnitt 2.1 zusammengefasst.
[3] Anne Quendt, a.a.O., S. 6.
[4] Im Detail: Anne Quendt, a.a.O., Abschnitt 3.1.
[5] Im Detail: Anne Quendt, a.a.O., Abschnitt 3.3 (zur FDP) bzw. Abschnitt 2.2. und hier v.a. S. 4 (zur aktuellen Bepreisung von CO2-Emissionen in der EU).
[6] Im Detail: Anne Quendt, a.a.O., Abschnitte 3.2, 3.4 und zusammengefasst in Kapitel 4.
[7] Vgl. Anne Quendt, a.a.O., S. 4 (180 € je Tonne, Primärquelle Umweltbundesamt), S. 16 (bisher höchstens 28 €) und S. V (CO2-Einsparungen bei CO2-Steuersätzen zwischen 40 und 180 € je Tonne, Berechnungen der Autorin für Heizöl).