Finanzpolitik in der Corona-Krise


Britta Kuhn

Deutschland, EU und USA reagieren fiskalpolitisch mit Rekordbeträgen. Weitere Programme werden folgen.

Deutschlands Sofortmaßnahmen[1]

Im Eilverfahren verabschiedete Deutschland Ende März ein gigantisches Maßnahmenpaket. Die wichtigsten Punkte: (1) Die Schuldenbremse ist ausgesetzt. Erstmals seit 2014 macht der Bund dieses Jahr neue Schulden, nämlich 156 Mrd. €. (2) Ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds WSF umfasst 600 Mrd. €. Davon garantieren 400 Mrd. € 90% der Kreditsumme, die Banken notleidenden Unternehmen bewilligen. Mit weiteren 100 Mrd. € kann sich der Staat an Firmen beteiligen. Die restlichen 100 Mrd. € fließen in Sonderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW. (3) Kleinstunternehmen und Solo-Selbständige erhalten 50 Mrd. €. (4) Ein Rettungsschirm für Krankenhäuser sieht 50.000€ pro neu geschaffenem Intensivbett und 560 € je freigehaltenem Bett und Tag vor. (5) Weitere Maßnahmen betreffen unter anderem das Kurzarbeitergeld, Familienleistungen und Hartz IV.

Im April kamen weitere Leistungen, Lockerungen und Ankündigungen dazu. Beispielsweise garantiert die staatliche KfW nun bestimmte Unternehmenskredite zu 100%, so dass die Banken kein Risiko mehr tragen. Die Bundesagentur für Arbeit BfA erhöht das Kurzarbeitergeld von höchstens 60% bzw. 67% (für Eltern) unter Umständen auf 80% bzw. 87%. Wirtschaftsminister Altmaier versprach weitere Hilfen, darunter ein Konjunkturprogramm. Zuvorderst deutsche Autohersteller können mit zusätzlicher staatlicher Förderung rechnen.

EU-Kredite und Transfers[2]

Frankreich, Italien und weitere Euro-Mitgliedsländer forderten in der aktuellen Krise zunächst „Corona-Bonds“. Für diese Schulden würde gesamtschuldnerisch gehaftet – wie zum Beispiel für die Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM oder letztlich die Anleihe-Kaufprogramme der EZB. Vor allem die Niederlande, aber auch Deutschland waren dagegen. Nun soll es einen Wiederaufbaufonds geben, dessen Höhe und Ausgestaltung offen ist. Zur Höhe stellte Bundeskanzlerin Merkel lediglich klar, dass Deutschland ab 2021 mehr ins EU-Budget einzahlen werde. Zur Ausgestaltung plädierte zum Beispiel Frankreichs Präsident für Transfers, die EU-Kommissionspräsidentin für eine Mischung aus Krediten und Zuschüssen.

Konkret verabschiedete die Eurogruppe Hilfsgelder in Höhe von 540 Mrd. € für Arbeitnehmer, Unternehmen und Staaten: (1) 100 Mrd. € dienen dem Erhalt von Arbeitsplätzen durch einen gemeinsam besicherten Fonds für Kurzarbeitergeld. (2) 200 Mrd. € ermöglichen Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) an kleine und mittelständische Unternehmen. (3) 240 Mrd. € gestatten ESM-Kredite ohne begleitende makroökonomische Restrukturierungsprogramme, allerdings ausschließlich für Corona-bedingte Gesundheitskosten. Bereits im März hatte die EU-Kommission zudem 37 Mrd. € Corona-Hilfe aus dem EU-Budget abgezweigt, ein Aussetzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorgeschlagen und das EU-Beihilfeverbot gelockert.

US-Finanzpolitik[3]

Mit rund 454 Mrd. $ deckt die US-Regierung Notenbank-Kredite an die heimische Wirtschaft. Die Geldversorgung soll dadurch letztlich um 4.000 Mrd. $ steigen. Dazu kommen im „CARES Act“ von Ende März mehr als 2.000 Mrd. $ fiskalpolitischer Hilfe in Form weiterer Kredite, Steuerstundungen und Direkthilfen: Rund 500 Mrd. $ unterstützen Großunternehmen, Städte und Bundesstaaten. Weitere 350 Mrd. $ helfen Kleinunternehmen. Krankenhäuser erhalten 117 Mrd. $, Erwachsene mit geringem oder mittlerem Einkommen 1.200 $ pro Person plus 500 $ je Kind. Die Arbeitslosenhilfe beträgt 600 $ pro Woche, die zusätzlich zu bestehenden Unterstützungsleistungen gewährt werden. Das Kreditprogramm für Unternehmen stockte die Regierung Ende April um weitere 500 Mrd. $ auf. Das dürfte angesichts US-Massenarbeitslosigkeit und -Wahlkampf noch lange nicht das Ende sein.

Makroökonomische Einordnung[4]

Deutschlands Staatsschuld lag vor Ausbruch der Corona-Pandemie bei rund 60% des Bruttoinlandsprodukts BIP. In der EU reichten die Schuldenstände vor der Krise von 9% in Estland bis 180% in Griechenland. Die vom Virus besonders betroffenen Euromitglieder Spanien und Frankreich kamen auf gut 100%, Italien auf fast 140%. Damit diese Schulden tragfähig bleiben, sind tiefgreifende Strukturreformen oder/und weitreichende europäische Solidarität notwendig. Beide Ziele lassen sich sowohl kurz- also auch langfristig eher durch ESM-Kredite als Eurobonds erreichen.

Der US-Schuldenstand erreichte vor der Pandemie gut 100% vom BIP. Die bisherigen, weit über 2 Billionen US-Fiskalhilfen stellen einen neuen Rekord dar. In der Finanzkrise hatte sie „nur“ 800 Mrd. $ betragen. Etwaige Zahlungsschwierigkeiten der US-Regierung wären nur mit weltweiter Solidarität bekämpfbar. Unrealistisch? Wohl kaum. Denn ein plötzlicher Zusammenbruch der weltweiten Anker- und Reservewährung US-Dollar würde alle in den Ruin treiben – gerade auch Rivalen wie China.


Quellen (letzter Internet-Aufruf jeweils 30.4.2020)

[1] Einstieg: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23.3.2020, ohne Verfasser, Kabinett beschließt Hilfspakete über Hunderte Milliarden Euro, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/konjunktur/coronavirus-kabinett-beschliesst-hilfspakete-ueber-hunderte-milliarden-euro-16692377.html?xtor=EREC-7-%5BWirtschaft%5D-20200323&utm_source=FAZnewsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter_FAZ_Wirtschaft&campID=OMAIL_REDNL_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_Wirtschaft. Details WSF: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), 2020, https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Coronavirus/WSF/wirtschaftsstabilisierungsfonds.html. Details der weiteren Maßnahmen: Bundesregierung, Maßnahmen der Bundesregierung, Stand 24.4.2020, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/hilfen-fuer-kuenstler-und-kreative-1732438. Speziell zur BfA: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. April 2020, Britta Beeger, Forscher rechnen mit mehr als drei Millionen Arbeitslosen, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/corona-krise-iab-rechnet-mit-mehr-als-drei-millionen-arbeitslosen-16739728.html?xtor=EREC-7-%5BWirtschaft%5D-20200424&utm_source=FAZnewsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter_FAZ_Wirtschaft&campID=OMAIL_REDNL_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_Wirtschaft. Altmaier, Konjunkturprogramm: 20-Uhr-Tagesschau vom 24.4.2020, 3’26‘‘-3‘51‘‘, https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-36769.html. Hilfen für die Autoindustrie: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. April 2020, Chefin der Autolobby fordert Kaufprämie auch für Diesel und Benziner, https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/autolobby-chefin-mueller-fordert-praemie-fuer-verbrenner-16746920.html?xtor=EREC-7-%5BWirtschaft%5D-20200429&utm_source=FAZnewsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Newsletter_FAZ_Wirtschaft&campID=OMAIL_REDNL_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_n/a_Wirtschaft.

[2] Wiederaufbaufonds: Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Präsidenten des Europäischen Rates im Anschluss an die Videokonferenz mit den Mitgliedern des Europäischen Rates, 23. April 2020, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/04/23/conclusions-by-president-charles-michel-following-the-video-conference-with-members-of-the-european-council-on-23-april-2020/. Stellungnahmen Merkel bzw. Macron und von der Leyen: Kurzfassungen: 20-Uhr-Tagesschau vom 23.4.2020 (Start – 3‘37‘‘) bzw. 24.4.2020, 7‘56‘‘-10’13); https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-36755.html bzw. https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-36769.html. Hilfsgelder der Eurogruppe: European Council, Council of the European Union, Eurogroup, Press release 9.4.2020, Report on the comprehensive economic policy response to the COVID-19 pandemic, https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2020/04/09/report-on-the-comprehensive-economic-policy-response-to-the-covid-19-pandemic/. Maßnahmen der EU-Kommission: European Commission, Coronavirus Response Investment Initiative adopted, 30.3.2020, https://ec.europa.eu/regional_policy/en/newsroom/news/2020/03/30-03-2020-coronavirus-response-investment-initiative-adopted; dieselbe, Coronavirus: Commission proposes to activate fiscal framework’s general escape clause to respond to pandemic, 20.3.2020, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_20_499; dieselbe/Competition, State aid rules and coronavirus, https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/covid_19.html.

[3] Deckung Notenbank-Kredite: Vgl. auf diesem Blog: https://besser-wachsen.com/2020/04/10/geldpolitik-in-der-corona-krise/#more-1955; 2-Bio. $-Hilfe vom 27.3.2020: U.S. Department of the Treasury, The CARES Act Works for All Americans, ohne Datum, https://home.treasury.gov/policy-issues/cares. Kurzfassung: Jordan Fabian und Justin Sink, Trump Signs $2 Trillion Virus Bill, Largest Ever U.S. Stimulus, Bloomberg Politics, 27.3.2020, https://www.bloomberg.com/news/articles/2020-03-27/trump-signs-2-trillion-virus-bill-largest-ever-u-s-stimulus. 500 Mrd.-Aufstockung vom 24.4.2020: 20-Uhr-Tagesschau vom 24.4.2020, 10‘13‘‘ ff., https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/ts-36769.html.

[4] Schuldenstände der EU-Staaten: Eurostat newsrelease euroindicators 162/2019 vom 22.10.2019, Government debt down to 86.4% of GDP in euro area, S. 2, https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/10064364/2-22102019-AP-EN/e0daab94-5418-21d7-a621-17730c7772b0. Plädoyer für ESM-Kredite statt Eurobonds: Friedrich Heinemann, Europäische Finanzinstrumente in der Corona-Krise. ESM-Liquiditätshilfe versus Corona-Bonds, ZEW-Kurzexpertise 20-04 vom 6.4.2020, https://www.zew.de/fileadmin/FTP/ZEWKurzexpertisen/ZEW_Kurzexpertise2004.pdf.

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