Britta Kuhn
Michael Schifferers Bachelor-Thesis analysiert Südkoreas Perspektiven[1]
Welche Rolle spielen Privatwirtschaft, Gesellschaft, Regierung, Außenhandel und geopolitische Trends für die Zukunft der Republik Korea? Reift das Land zur wirtschaftlichen Supermacht?
1953-2020: Fulminantes Wirtschaftswachstum[2]
Die sozioökonomische Datengrundlage der Thesis stammt überwiegend von der OECD, was den Vergleich mit anderen Industriestaaten erleichtert. Demnach hat Südkorea das reiche Japan beim BIP pro Kopf inzwischen überholt – den einstigen Kolonialherren, der das Land bis 1945 auch kulturell maßgeblich prägte. Wie konnte das gelingen? Nach dem verheerenden Korea-Krieg schien sich der kommunistische Norden zunächst schneller zu erholen. In den 1960er und 1970er Jahren konzentrierten sich die damaligen Militärregierungen in Südkorea jedoch auf eine exportorientierte Wachstumsstrategie. Daneben entstanden per staatlicher Industriepolitik riesige Unternehmen wie Samsung oder LG.
Die 1980er Jahre brachten ökonomische Liberalisierungen und den Übergang von der Militärdiktatur zu einer pluralistischen Demokratie. Beides verlief ungewöhnlich schnell – gut für die Bevölkerung, schwierig für die vormals geschützten Konglomerate. Die Asienkrise traf Südkorea 1997 entsprechend hart. Die folgenden Strukturreformen federten allerdings die Weltfinanzkrise von 2008 ab. Im Vergleich mit den anderen OECD-Staaten musste Südkorea wesentlich geringere Einbußen verkraften. Das galt auch für die Corona-Pandemie ab 2020.
Wer spielt in Südkoreas Wirtschaft welche Rolle?[3]
Neben Samsung und LG gehören Hyundai Motor, SK und Lotte zu den größten privaten Mischkonzernen des Landes. Diese Chaebols stehen einerseits für Hightech und Innovation – beispielsweise ist Südkoreas Halbleiterindustrie weltweit die zweitwichtigste nach Taiwan und der private Sektor beschäftigt den Löwenanteil der Forscher im Land. Andererseits sind Lobbyismus und Korruption ein Leichtes für die familiengeführten Großunternehmen. Südkoreas Ein- und Ausfuhren erreichen jeweils rund ein Drittel des BIP. So gehört das Land zu den wichtigsten Energieimporteuren der Welt. Auf der Exportseite sind neben seinen Autos, Elektronik- und Konsumgütern zunehmend die Unterhaltungs- und weiteren Kulturleistungen von Bedeutung. Der Handel mit China und Japan fällt allerdings niedriger aus, als aufgrund der kulturellen und geografischen Nähe zu erwarten wäre.
Stark verändert hat sich die Gesellschaft. Individualismus und Misstrauen steigen. Vor allem aber altert die Bevölkerung rasant. Denn die Lebenserwartung nimmt schneller zu als in allen anderen OECD-Ländern. Zudem bekommt niemand sonst so wenige Kinder – nur 0,9 pro Frau! Und Einwanderung spielt bisher praktisch keine Rolle. Gleichwohl finden junge Koreaner nur schwer eine Stelle. Daneben scheint der gesellschaftliche Druck so immens zu sein, dass Südkorea die höchste Selbstmordrate aller OECD-Mitglieder aufweist. Die Regierung engagiert sich im internationalen Vergleich überdurchschnittlich unternehmerisch. Bei Sozialausgaben hält sie sich dagegen stark zurück. Die Staatsverschuldung lag 2020 deutlich unter dem OECD-Durchschnitt.[4]
Gemischte Aussichten[5]
Die Abschlussarbeit analysiert, welchen wesentlichen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken Südkoreas volkswirtschaftliche Entwicklung auszeichnen. Eine besonders bremsende Rolle spielen demnach konservativegesellschaftliche Normen und Werte. Auch die russische Ukraine-Invasion dürfte die geopolitischen Spannungen auf und nahe der koreanischen Halbinsel weiter verschärfen. Langfristig werde wohl auch Südkoreas Alterung verhindern, das der ehemalige Tigerstaat zu einer wirtschaftlichen Supermacht aufsteige.
Quellen:
[1] Michael Schifferer, „Economic Perspectives of the Republic of Korea“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 13.3.2022.
[2] Im Detail: Michael Schifferer, a.a.O., S. 2 ff.
[3] Im Detail: Michael Schifferer, a.a.O., S. 6 ff.
[4] Nämlich bei 59% gegenüber 94% im OECD-Durchschnitt. Vgl. https://data.oecd.org/gga/general-government-debt.htm#indicator-chart (Zugriff 6.5.2022).
[5] Im Detail: Michael Schifferer, a.a.O., S. 15 ff.