Britta Kuhn
Deutschland gehen die Handwerker, Pflegekräfte, Bus- und Lastwagenfahrer (jeden Geschlechts) aus. Denn es gibt nur wenige junge Menschen und diese bevorzugen ein Studium. Einwanderung soll die Lücke füllen. Reicht das? Oder können wir auch die inländische Arbeitskräfteallokation verbessern?
„Studium für alle“ versus optimale Arbeitskräfte-Allokation
Jahrzehntelang forcierte die deutsche Politik eine Akademisierung der Arbeitswelt. Der Druck kam von der OECD und wurde über veränderte finanzielle Anreize in die Hochschulen getragen. Diese schufen immer neue Studiengänge und bemühten sich darum, das Studium möglichst barrierefrei zu gestalten. Beides ist gelungen. Nur verrichten inzwischen viele Akademiker Tätigkeiten, für die eine Berufsausbildung zielführender gewesen wäre oder deren ökonomischer Wertschöpfungsbeitrag sich nicht immer erschließt. Beispielsweise arbeitet heute der Absolvent eines mindestens fünfjährigen Marketing-Masters mitunter im Reisebüro – hier hätte eine dreijährige Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann möglicherweise bessere Dienste geleistet. Oder ein Kulturanthropologe erstellt in einer Universität Didaktik- oder Inklusionsstrategien, während die Studenten mangels Bussen zuhause bleiben müssen und körperlich Beeinträchtigte mangels funktionsfähiger Aufzüge nicht zum Hörsaal gelangen.
Schlüsselbegriff „Wertschöpfung“
David Graeber unterschied in seinem Buch Bullshit-Jobs[1] vereinfacht gesagt zwei Gruppen von Arbeitskräften: Einerseits hochbezahlte Managertypen, die nicht wirklich erklären können, welchen Wertschöpfungsbeitrag sie leisten. Deren „Bullshit Jobs“ stellte er schlecht bezahlte, aber gesellschaftlich nützliche „Shit Jobs“ hart arbeitender Menschen gegenüber. Leider ist es nicht ganz so einfach: Manch ein „Shit Job“ dürfte in Zukunft dank Digitalisier- ung und Automatisierung entfallen. Der Fachkräfte-Mangel dürfte beide Trends massiv beschleunigen – man denke an autonomes Fahren, das Bus- und LKW-Fahrer eines Tages ersetzen soll. Daneben werden viele Tätigkeiten schlicht entfallen: So gibt es in Hochlohn-Standort Deutschland bekanntlich längst keine Tüten-Einpacker und Schuhputzer mehr, sondern immer mehr Selbstbedienung. Umgekehrt erhalten viele „White-Collar-Worker“ zu Recht höchste Gehälter: Siehe Ingenieure und Informatiker, die Automatisierung und Digitalisierung ermöglichen. Ihr Wertschöpfungsbeitrag liegt nicht nur im Jetzt. Sie eröffnen auch künftigen Generationen mehr mühelosen Wohlstand.
Anreize für wertschöpfende Tätigkeiten verbessern
Hier Vorschläge, wie Deutschlands Jugend stärker in wertschöpfende Tätigkeiten „gestupst“ werden könnte:
- Studiengebühren für angehende Geisteswissenschaftler und Studiengehalt für angehende Informatiker einführen.
- Tarifstrukturen im öffentlichen Dienst flexibilisieren. Hochschulen zum Beispiel sollten Marktlöhne bezahlen dürfen. Informatiker erhielten dann ein Vielfaches des aktuellen öffentlichen Entgelts, vergleichende Literaturwissenschaftler dagegen einen Bruchteil. Die Hochschul-IT würde sich verbessern, die Zahl der Strategie-Papiere sinken. Ähnlich bei kommunalen Betrieben: Ein Busfahrer würde wesentlich mehr verdienen als ein promovierter Baukulturerbe-Spezialist.
- Tarifstrukturen in der Privatwirtschaft restlos freigeben. Zwar kann nicht jede Privatperson 200 Euro pro Stunden für einen Handwerker ausgeben. Aber Verbandsregularien sollten dies als letztes verhindern – so dass sich besonders fähige Handwerker eine „goldene Nase“ verdienen könnten.
- Arbeitsbedingungen in Mangelberufen verbessern. Selektive zusätzliche Freizeit und mehr Urlaub könnten verbleibende Lohnrigiditäten ausgleichen. Unterbezahlte Pflegekräfte erhielten beispielsweise doppelt so viele Urlaubstage wie überbezahlte Nachhaltigkeits-Referenten.
- Gesellschaftliche Wertschätzung für Ausbildungsberufe gezielt verbessern. Der „Arbeiter- und Bauernstaat“ DDR war nicht ausnahmslos schlecht. „Echte Arbeit“ genoss dort höheres Ansehen als zuletzt in Westdeutschland. Hier erzeugte die Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte einen Akademisierungs-Fetisch. Er führte nicht nur zur oben beschriebenen Ressourcen-Fehlallokation. Er machte auch viele junge Menschen unglücklich, die sich an Universitäten mit höherer Mathematik oder sprachlicher Semantik quälten, aber einen LKW mit Anhänger problemlos rückwärts hätten einparken können. Wie wäre zur Abwechslung ein politisch unterstützter Handwerker-Hype? Dass Motivation nicht nur am Gehalt hängt, sondern an der tatsächlichen gesellschaftlichen Wertschätzung, zeigt auch das Beispiel Lehrkräfte: In Finnland verdienen sie wesentlich weniger als in Deutschland, genießen aber viel mehr Ansehen. Folglich steuern die Besten eines Jahrgangs diesen Beruf an und Finnland gehört zu den PISA-Spitzenreitern.[3]
Quellen:
[1] David Graeber, Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett-Cotta, 4. Auflage 2019
[2] Details am Beispiel Investmentbanker versus Erzieherin: Vgl. Britta Kuhn, Lohndifferenz. WISU (Das Wirtschaftsstudium), 2017, 46(4), S. 453.
[3] Lohnvergleich und Download weiterer Studien: OECD Data, Teachers‘ salaries, https://data.oecd.org/teachers/teachers-salaries.htm (Zugriff 7.9.2022)