Britta Kuhn
Die Volksrepublik altert rasant. Daran wird auch die Drei-Kind-Familienpolitik bis zum Jahr 2100 nichts ändern, wie Kuhn und Neusius zeigen.[1]
Politikwechsel: Vom Einzelkind zu drei Kindern
In der Volksrepublik vollzieht sich der demografische Wandel besonders schnell. Beschleunigt durch jahrzehntelange politische Restriktionen bei der Familienplanung steigen das Durchschnittsalter und der Anteil der Rentner, während das Arbeitskräftepotenzial zurückgeht. Angesichts der gravierenden Folgen für Wirtschaftswachstum und Wohlstandsverteilung hat die Regierung ihre Ein-Kind-Politik schrittweise gelockert. Seit 2016 sind generell zwei Kinder erlaubt, seit 2021 sogar drei. Denn die Volkszählung von 2020 ergab vereinfacht gesagt, dass in China durchschnittlich nur noch 1,3 Kinder pro Frau zur Welt kommen. Das sind zwar mehr als im benachbarten Südkorea mit 0,8. Für eine konstante Bevölkerung wären aber durchschnittlich 2,1 Kinder nötig. Maßgebliche Kennzahl ist hierbei die Total Fertility Rate (TFR), zu deutsch die zusammengefasste Geburtenziffer. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau im gebärfähigen Alter durchschnittlich im Leben bekäme.
Geburten sinken weiter – auch in anderen Teilen (Süd-)Ostasiens
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die liberalisierte Geburtenpolitik Chinas TFR steigern wird. Schon in den 1970er Jahren, also vor Deng Xiaopings strikter Ein-Kind-Politik, sanken Chinas Geburten von 5,8 Kinder pro Frau (1970) auf 2,7 (1978).[2] Ähnlich entwickelten sich die Kennziffern der anderen ost- und südostasiatischen Volkswirtschaften. Seit der Jahrtausendwende stagnieren sie bei durchschnittlich rund 1,8 Kindern.[3] Chinas aktuelle Lockerungen dürften daran wenig ändern: So ergab eine Online-Umfrage der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, dass die meisten Chinesen eher darüber nachdenken, ein oder kein Kind zu bekommen anstatt drei. Das liegt an den hohen Ausbildung- und Wohnungskosten, aber auch an kulturellen Veränderungen.[4]
Hohe Alten- und Abhängigenraten bis Jahrhundertende
Schon frühere Studien analysierten Chinas demografische Aussichten, gingen aber selten über das Jahr 2050 hinaus. Sie unterstellen, dass der Alten- und der Abhängigenquotient selbst im besten Szenario bis zur Jahrhundertmitte weiter steigen werden – nämlich sogar unter der Annahme, dass die Kinderzahl völlig freigegeben wird. DerAltenquotient misst, wie viele Über-64-Jährige auf Menschen im Alter von 15 bis 64 kommen. Der Abhängigenquotientgibt an, wie viele Unter-15-Jährige und Über-64-Jährige auf Menschen im Alter von 15 bis 64 kommen.[5]
Welche Entwicklung ergibt sich bis 2100 für beide Kennzahlen? Simuliert wurde die Entwicklung zum einen mit einer konstanten Lebenserwartung, zum anderen mit einer steigenden Lebenserwartung. Daneben variierten die Geburtenziffern TFR von 1,0 bis 2,0. Die Ergebnisse bei konstanter heutiger Lebenserwartung: Chinas Altenquotient läge im Jahr 2100 je nach TFR zwischen rund 30 und über 65. Der Abhängigenquotient stiege im günstigsten Fall einer TFR von 2,0 sogar auf über 60 und im ungünstigsten Fall einer TFR von 1,0 auf fast 80. Realistischer erscheint jedoch, mit einer steigenden Lebenserwartung zu rechnen: Hier ergäbe sich zum Jahrhundertende ein Altenquotient von bestenfalls jenseits 35 bis schlimmstenfalls jenseits 80. Der Abhängigenquotient stiege sogar von über 65 auf bis etwa 95.[6]
Dringender Reformbedarf
Das alles ist umso gravierender, als chinesische Arbeitskräfte eher mit 50-55 (Frauen) bzw. mit 55-60 (Männer) in Rente gehen als mit über 65 Jahren. China braucht daher dringend Reformen, die über die Familienpolitik hinausgehen. Dazu zählen eine schnellere Automatisierung, ein höheres Renteneintrittsalter, der Ausbau von Betriebs- und Privatrenten sowie die bisher verschmähte Einwanderung.[7]
Quellen:
[1] Britta Kuhn und Thomas Neusius, Will China’s three-child policy defuse the demographic time bomb? WIFIN Working Paper 14 (2022), https://www.hs-rm.de/fileadmin/Home/Fachbereiche/Wiesbaden_Business_School/Forschungsprofil/Veroeffentlichungen/WIFI_WP/wifin_WP14_Kuhn_Neusius_20221121.pdf.
[2] Details und ausführliche Literaturhinweise: Kuhn und Neusius, a.a.O., S. 4.
[3] Details und ausführliche Literaturhinweise: Kuhn und Neusius, a.a.O., S. 3, v.a. Figure 1.
[4] Details und ausführliche Literaturhinweise: Kuhn und Neusius, a.a.O., S. 6.
[5] Kuhn und Neusius, a.a.O.; S. 2.
[6] Kuhn und Neusius, a.a.O.; S. 8-10 und Conclusion bzw. Abstract.
[7] Details und ausführliche Literaturhinweise: Kuhn und Neusius, a.a.O., S. 10 f.