von Prof. Dr. Britta Kuhn unter Mitarbeit von Marc Fensterseifer, Hannes Hoberg und Dennis Reiß
Wachstumsmarkt M2M
Machine-to-Machine oder M2M bezeichnet den automatischen Informationsaustausch zwischen Gegenständen. Es entsteht das so genannte „Internet der Dinge“[1], welches in seiner technischen Endstufe jedes elektronische Gerät weltweit vernetzen könnte. Schon heute steigert M2M die Produktivität in vielen Bereichen: So melden beispielsweise Getränkeautomaten einem zentralen Rechner selbstständig ihren Nachfüllbedarf, was Ausfälle und unnötige Servicefahrten vermeidet[2]. Entsprechend optimistisch äußern sich Studien zum Marktpotenzial: So rechnet E-Plus im dynamischsten Segment, der deutschen “Consumer Electronics“, mit einem jährlichen Wachstum von durchschnittlich 47 Prozent bis 2013[3].
Der Erfolg der M2M-Kommunikation hängt von technischen, betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Faktoren ab: Sie muss funktionieren, Kosten senken bzw. zusätzlichen Nutzen stiften und von einer Mehrheit der Menschen akzeptiert werden. Insbesondere dieser letzte Aspekt, dass es den meisten Nutzern mit M2M besser gehen müsste als ohne M2M, ist nach unserem Verständnis eine Grundvoraussetzung für qualitatives Wachstum. Bei Getränkeautomaten sind alle drei Bedingungen unstrittig erfüllt. Wie aber sähe es z.B. im Bereich der Seniorenpflege aus?
Maschinen erhöhen die Pflegequalität für zahlreiche Senioren
Bisher lautet das Mantra in der Seniorenpflege, dass Menschen Menschen helfen. In der Regel kümmern sich Töchter, schlecht bezahlte und überlastete legal oder illegal beschäftigte Pflegekräfte um die zunehmenden Pflegebedürftigen in Deutschland. Innovative Modelle wie Mehrgenerationenhäuser, Alten-WGs oder der verstärkte Einsatz ehrenamtlicher Kräfte beschränken sich ebenfalls auf „face-to-face“-Kontakte. Dabei könnten zusätzliche technische Einrichtungen bis hin zu Robotern den Pflegenotstand für eine Mehrheit der Senioren und der Pflegenden entschärfen und die Gesamtqualität der Pflege sogar erhöhen! Jeder Patient bekäme von seiner Krankenversicherung ein oder mehrere Geräte zur Verfügung gestellt, die standardisierte Dienstleistungen erbrächten, z.B. die pünktliche Erinnerung an den individuellen Medikamenten-Mix und dessen Bereitstellung. Ein Wartungstechniker z.B. der Krankenkassen oder Apotheken würde nach M2M-Information jeden Automaten neu bestücken und regelmäßig überprüfen. Die Hausärzte könnten die Medikation ihrer Patienten nach jeder Regeluntersuchung ebenfalls über den medizinischen Server anpassen. Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Arzneimittelversorgung stiege, die Pflegekräfte könnten sich stärker als heute zwischenmenschlichen Aufgaben widmen. Weitere standardisierte, aus der Ferne überwachte Maschinenleistungen wären ebenso denkbar wie eine passgenaue direkte Behandlung von Menschen. So wäre es möglicherweise manch einer Hochbetagten lieber, von einem „blinden“ Roboter gewaschen zu werden als von wechselnden Pflegern im Schichtbetrieb. Auch könnte der menschliche Austausch mit einem individuell ausgewählten Gesprächspartner, ähnlich wie bei Escort-Dienstleistern oder Partnervermittlern, für sie wertvoller sein als mit der gerade verfügbaren Pflegekraft. Dass Roboter insbesondere bei Demenzkranken die persönliche Pflege sinnvoll ergänzen, zeigt die Kuschel-Robbe Paro: 15 deutsche Heime haben sie bereits gekauft[4].
Finanzierung: Grundversorgung per Kasse, Zusatzleistungen privat
Bisher sind Roboter noch teuer, Paro kostet beispielsweise 5.000 Euro[5]. Insofern wäre der ergänzende Einsatz komplexerer Roboter zunächst nur in Pflegeheimen möglich. Wie bei allen technischen Geräten würden die Kosten aber langfristig sinken und der Niedriglohnsektor „Pflege“ trockengelegt. Denn menschliche Pflegedienste würden aufgewertet und anspruchsvoller, damit attraktiver und besser bezahlt. Die in Deutschland bestehende Zwei-Klassen-Medizin ließe sich durch zusätzliche Pflegegeräte jedoch nicht überwinden: Wie bisher böten die gesetzlichen Pflegeversicherungen nur Standardleistungen an. Wohlhabende Senioren könnten sich – wie schon heute – nicht nur die besten Pflegekräfte leisten, sondern zusätzlich die leistungsfähigsten Maschinen. So, wie sich eben reiche Menschen manchmal prestigeträchtige Autos oder hochwertige Haushaltsgeräte gönnen.
[1] Wikipedia, „Machine to Machine“, http://de.wikipedia.org/wiki/Machine_to_Machine, abgerufen am 14.04.2012.
[2] Wikipedia, a.a.O..
[3] E-Plus Gruppe, Steffen Böning/Andreas Dämbkes/Philipp Reichhart, „Die M2M-Industry-Map Deutschland. Übersicht des deutschen M2M-Marktes mit dazugehörigen Industrien“, 2010, S. 5.
[4] Christine Holch, „Die wollen doch bloss helfen“, in: Chrismon 01.2012, S. 28-32, S. 30.
[5] Christine Holch, a.a.O..