Pascal Martens
Du bist, was du isst. Das Essen bestimmt unser Leben, unser Glück und unsere Gesundheit. Dennoch achten die wenigsten Menschen darauf. Dabei gäbe es interessante Alternativen, von Kochgemeinschaften, über Urban Gardening bis hin zu „Verhaltensstupsern“.
Viel Essen, wenig Bewegung
„Die Bevölkerung der westlichen Industriestaaten wird zur Mitte dieses Jahrhunderts vornehmlich aus alten, kranken, fehlernährten Menschen bestehen“, warnen Forscher. Für zwei Drittel aller Todesfälle in Deutschland ist schon heute eine ungesunde Ernährung mitverantwortlich[1]. Motorisierung und Automatisierungen haben außerdem zu Bewegungsarmut geführt. Die Energiezufuhr nimmt dagegen seit den 1950er Jahren stetig zu. Durchschnittlich erzielt heute jeder Deutsche einen Energieüberschuss von mehreren hundert Kalorien pro Tag[2].
Ursachen schlechter Ernährung
Für die Hälfte der Deutschen ist gutes Essen wichtig. Jedoch kommt diese Erkenntnis erst mit steigendem Alter. Nur für 23% der 18-25 Jährigen spielt gesunde Ernährung eine Rolle. Bei 46-55 Jährigen sind es schon über die Hälfte, denen gesundes Essen am Herzen liegt, bei Senioren ab 66 Jahren über 60%[3].
Familien schwanken je nach Zeit, Bildungsstand und Einkommen zwischen Selbstgekochtem und „Tiefkühlpizza“. Je mehr dieser Faktoren vorhanden, umso stärker das Ernährungsbewusstsein. Gerade Familien sind aber heute zu sehr im Stress. Wie auch Alleinstehende essen sie oft nicht bewusst, sondern lenken sich mit Fernsehen, Computer oder Smartphone ab. Das traditionelle gemeinsame Essen nimmt ab[4].
Kochen intelligent fördern
Kochen gilt dank TV-Shows mittlerweile als cool und modern. In der Realität stehen aber nur 80% der Frauen und 35 % der Männer am Herd. Und während immerhin 93% der Frauen ihr Kochvermögen als gut bis sehr gut einschätzen, können bei den Männern 40% weniger bis gar nicht kochen[5]. Doch ob mit oder ohne Kochkompetenz, die Bürger greifen dennoch zunehmend auf Fertigwaren und halbfertige Erzeugnisse zurück, da sich kaum noch jemand Zeit zum kreativen Prozess des Kochens nimmt[6]. In Familien gibt es z.B. im Schnitt zweimal pro Woche Fertiggerichte; und auch in Fast Food Restaurant sind sie oft Gast[7]. Wie könnte also das Kochen für alle Bevölkerungsgruppen attraktiver werden?
Ein Ansatzpunkt liegt in Kindergärten und Schulen. Kindern könnte hier zu einem frühen Zeitpunkt der Spaß am Kochen spielerisch vermittelt werden. Sie würden ihre Fähigkeiten dann natürlich auch zuhause einsetzen. In einigen Schulen gibt es bereits freiwillige Koch-AGs. Sie schneiden jedoch neben Sport- und Musik-AGs eher schlecht ab. Wäre Kochen dagegen Pflichtfach, wäre jeder Schulabgänger in der Lage, sich ein Mahl aus frischen Zutaten zu bereiten. Menschen, die nicht mehr zur Schule gehen, könnten durch Seminare der Krankenkasse weitergebildet werden und für das erfolgreiche Bestehen eine Beitragsprämie erhalten. Auch von Krankenkassen gesponserte Volkshochschul-Kurse würden dadurch attraktiver.
Eine weitere Alternative sind Kochgemeinschaften alleinlebender Menschen. Durch Synergien würde sich das Kochen wieder lohnen, das Ganze ließe sich informell im Rahmen nachbarschaftlicher Tauschringe (Naturalbezahlung) oder auch über den Markt (Geldbezahlung) organisieren: Ich koche für mehrere Menschen, verpacke die überzähligen Portionen , liefere sie an nicht-kochende Mitmenschen bzw. lasse sie abholen, profitiere von einem guten Essen und erhalte Geld oder eine gute Mahlzeit an einem anderen Tag. Für Single-Haushalte und Rentner wäre dies besonders interessant. Aber auch für Familien, deren Kinder tagsüber alleine zuhause sind oder bei denen die Eltern aus anderen Gründen nicht täglich kochen können oder wollen.
Gut essen mit wenig Geld
Über ein Drittel der Deutschen gibt in Befragungen an, fehlendes Geld spiele eine Rolle für ihre schlechte Ernährung. Tatsächlich ist gesundes Essen eher kostengünstiger, wie eine Forschungsgruppe der Universität Gießen 2009 herausfand: Testpersonen, die Vollwertkost aßen, zahlten monatlich 227,30 Euro für Lebensmittel. Die anderen zahlten 259, 07 Euro. Energiereiche Lebensmittel wie Fleisch und Käse sind eben teurer als gesunde wie Hülsenfrüchte, Brot oder Reis[8].
Vorbild Japan
Die Lebenserwartung eines Japaners ist die höchste weltweit, was viel mit der dortigen Esskultur zu tun hat[9]. Japaner essen selten allein und meist aus kleinen Schälchen, was die Nahrungsaufnahme bewusster gestaltet gegenüber einem „vollgehauenen“ Teller wie in Deutschland. Des Weiteren essen Japaner traditionell äußerst fettarm und zugleich nährstoffreich, nämlich viel Fisch und Gemüse und dies zumeist roh. Insgesamt essen sie rund fünfmal so viel Fisch wie Deutsche. Das darin enthaltene Fett ist gesünder als im Fleisch, von dem Japaner nur rund die Hälfte des deutschen Fleischkonsums erreichen[10].
Durch Anstups-Maßnahmen besser essen
Vier von zehn Menschen schaffen es nicht, ihre Ernährung gesünder zu gestalten, obwohl sie dies eigentlich beabsichtigen[11]. Psychologen haben diesbezüglich belegt, dass Menschen z.B. Chips mit Fernsehen assoziieren, oder den Kinobesuch mit Popcorn und Cola[12]. Wer sich über solche Assoziationen klar wird, hat schon den ersten Schritt getan. Als nächstes könnte man nun gesunde Assoziationen aktivieren, zum Beispiel den Obstteller zum Internetsurfen. Auch Politik und Wirtschaft könnten die Rahmenbedingungen unserer Entscheidungen ändern, um uns in eine gesündere Richtung zu „stupsen“. Die gegenwärtigen „Nudges“ sind z.B. in Supermärkten ziemlich ungesund, da sich Tabak, Alkohol und Süßigkeiten im Kassenbereich befinden. Kinder und Jugendliche kaufen aber in der Schulpause mehr Obst, wenn sich dieses griffbereit neben der Ladenkasse befindet. Sie ersetzen damit sogar Eis und andere Süßigkeiten. Auch Erwachsene reagieren auf solche „Verhaltensstupser“. So begünstigt z.B. ein eigener als „Ablage für Obst und Gemüse“ gekennzeichneter Bereich im Einkaufswagen den Verkauf solcher Lebensmittel[13].
Schließlich könnte die Politik den Verkauf ungesunder Lebensmittel erschweren. Denkbar wäre z.B. in Deutschland, die volle Mehrwertsteuer von 19% statt 7 % auf ungesunde Kost zu erheben bzw. international niedrigere Mehrwertsteuern für gesunde Lebensmittel anzusetzen. Erwägenswert wären auch Warnhinweise auf Lebensmittelpackungen mit zu hohem Fett- oder/und Zuckergehalt. Sie könnten wie eine Ampel aussehen, was momentan breit diskutiert wird, oder aber wie auf Zigarettenpackungen mit Bildern versehen werden.
“Urban Gardening“ für gesunde Kost nutzen
„Pflücken erlaubt“ statt „betreten verboten“: Jede Stadt hat heute Grünanlagen, die mit teuren Pflanzen ausgestattet werden, die oft nur kurz blühen. Diese Flächen könnte man, wie in Andernach seit 2008 entlang der alten Stadtmauer, mit Essbarem bepflanzen. Bei Anbau und Ernte durfte im Rheinstädtchen jeder helfen, mittlerweile ziehen viele Städte wie u.a. Mainz und Frankfurt bei dieser weltweit ausgesprochen erfolgreichen Bürgerbewegung nach. Ganz nebenbei wird das Bewusstsein für Saisonware und frische Lebensmittel wieder hergestellt und mit jedem Beet bzw. Garten ein Stück Natur in die Stadt zurückgeholt[14].
Fazit des Autors
Wir sollten täglich darüber nachdenken, was wir essen, weil es unser Wohlbefinden stark beeinflusst. Weniger als durch Verbote sollten wir die Möglichkeiten gesunden Essens deutlich vergrößern und die individuellen Wege dorthin auch institutionell erleichtern. Denn freiheitsbegrenzende Eingriffe schrecken oft nur ab, wie der breite Widerstand gegen den Vegetarier-Tag der Grünen zeigte[15].
Quellen:
[1] Jörg Zittlau, „Deutschland ist ein tödliches Schlaraffenland“, Die Welt, 03.05.2011, http://www.welt.de/gesundheit/article13321061/Deutschland-ist-ein-toedliches-Schlaraffenland.html (Zugriff 23.09.2013).
[2] Dr. Angela Jordan, „Ernährung und Lebensstil“, Gesundheit.de, 21.10.2011, http://www.gesundheit.de/ernaehrung/gesund-essen/ernaehrung-und-lebensstil/ernaehrung-und-lebensstil (Zugriff 23.09.2013).
[3] TKK, „Iss was, Deutschland?“, Februar 2013, Seite 5, https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/498464/Datei/64172/TK_Studienband_zur_Ernaehrungsumfrage.pdf (Zugriff 23.09.2013).
[4] TKK, a.a.O., S. 7.
[5] TKK, a.a.O., S. 12.
[6] TKK, a.a.O., S. 13.
[7] TKK, a.a.O., S. 16.
[8] „Die Gießener Vollwert-Ernährungs-Studie Teil I“, zitiert nach TKK, a.a.O., S. 12.
[9] Focus Online, „Japanerinnen haben die höchste Lebenserwartung“, 26.07.2010, http://www.focus.de/wissen/natur/gesundheit-japanerinnen-haben-die-hoechste-lebenserwartung_aid_534496.html (Zugriff 23.09.2013).
[10] Statista, http://de.statista.com/statistik/daten/studie/157574/umfrage/jaehrlicher-pro-kopf-verzehr-von-fleisch-2005/ (Zugriff 23.09.2013).
[11] TKK, a.a.O., S. 11.[12] Nicola von Lutterotti, „Motivationshilfen fürs gesunde Essen“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.02.2012, http://www.faz.net/aktuell/wissen/mensch-gene/nudging-motivationshilfen-fuers-gesunde-essen-11919680.html (Zugriff 23.09.2013).
[13] Nicola von Lutterotti, a.a.O.[14] Winfried Scholz, „Andernach: Eine Stadt zum Anbeißen“, Rhein-Zeitung, 13.06.2013, http://www.rhein-zeitung.de/region/lokales/mayen_artikel,-Andernach-Eine-Stadt-zum-Anbeissen-_arid,609480.html (Zugriff 23.09.2013).
[14] Winfried Scholz, „Andernach: Eine Stadt zum Anbeißen“, Rhein-Zeitung, 13.06.2013, http://www.rhein-zeitung.de/region/lokales/mayen_artikel,-Andernach-Eine-Stadt-zum-Anbeissen-_arid,609480.html (Zugriff 23.09.2013).
[15] David Schmidt und Annika von Taube, „Grün essen ja, aber ohne die Grünen“, Zeit Online, 7.08.2013, http://www.zeit.de/lebensart/2013-08/Veggie-Day