Minskys These instabiler Finanzmärkte

Britta Kuhn

Hyman Minsky starb 1996, seine These instabiler Finanzmärkte ist jedoch seit der Finanzkrise aktueller denn je. Der keynesianische Ökonom beschrieb Finanzkrisen in einem dreistufigen Zyklus als elementaren Teil des Kapitalismus.

Die Wiederentdeckung der „Financial Instability Hypothesis“

Bis 2007/2008 ging die moderne herrschende Volkswirtschaftslehre von effizienten Finanzmärkten aus. Deshalb wurden sie in makroökonomischen Modellen nicht eigenständig formalisiert. Entsprechend der „Effizienzmarkthypothese“ spielt es z.B. keine Rolle, in welchem Maße Firmen mit Fremd- oder Eigenkapital arbeiten. Diese modelltheoretische Konzentration auf realwirtschaftliche Vorgänge dominiert die wissenschaftliche Diskussion noch heute. Ein führender Vertreter der Effizienzmarkttheorie, Eugene Fama, erhielt erst im Herbst 2013 den Ökonomie-Nobelpreis[1].

Seit 2009 gewinnt jedoch die These, dass der kapitalistischen Wirtschaft Finanzkrisen innewohnen, zunehmende Beachtung. Einer ihrer wichtigsten Vertreter, der US-Ökonom Minsky, stellt dabei „Zahlungsverpflichtungen“ aus Zinszahlungen und Tilgung dem Cashflow gegenüber. Dieser Cashflow erfüllt die Zahlungsverpflichtungen durch Einkommen, Vermögensverkäufe oder Geldzuflüsse aus Anlagen. Aufgrund spekulativer Erwartungen bauen private Akteure eine immer höhere Verschuldung auf, um Vermögenswerte wie z.B. Aktien, Immobilien oder Gold zu erwerben. Am Ende überschreiten die gesamten Zahlungsverpflichtungen ihre Zahlungsfähigkeit und das System bricht unter der Schuldenlast zusammen – wir würden heute von einer geplatzten Vermögensblase sprechen. Der Zyklus beginnt von vorne.

Dreistufiger Prozess: Hedge, Speculative, Ponzi[2]

In Stufe 1 namens „Hedge“ kommt die Wirtschaft gerade aus der Krise, so dass die Akteure noch zur Vorsicht neigen. Der Cashflow übersteigt daher die Zahlungsverpflichtungen. Stufe 2 ist „Speculative“: Da die Wirtschaft blüht, werden die Handlungsträger optimistischer, ihre Kreditaufnahme steigt und der Cashflow deckt nur noch die Zinsverpflichtungen, nicht aber mehr die komplette fällige Tilgung. Auslaufende, aber noch nicht getilgte Kredite werden in dieser Phase durch neue Kredite abgelöst. Die optimistische Grundstimmung führt zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, also einer wachsenden Wirtschaft mit Vermögenswerten, die immer teurer werden. In Stufe 3, nach Charles Ponzis gescheitertem Schneeballsystem als „Ponzi“ bezeichnet, sind die Zukunftserwartungen derart überoptimistisch, dass der Cashflow nicht einmal mehr die Zinszahlungen deckt. Die Finanzmarktteilnehmer setzen auf fortlaufend stark wachsende Einkommen und Vermögen, also auf einen steigenden Cashflow. Niemand von ihnen glaubt, dass der Boom jemals zu Ende gehen könnte bzw. jeder hält sich für schlau genug, rechtzeitig aus seinen Engagements aussteigen zu können.

Diese Stimmung schlägt um, sobald die ersten Akteure aufgrund durchsickernder Negativnachrichten ihre Anlagen verkaufen. Nun setzt eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale aus pessimistischeren Risikoeinschätzungen und damit steigenden Risikoaufschlägen ein. Bei Minsky wird dieser Stimmungsumschwung auch von der Zentralbank mitverursacht: Sie befürchtet in der optimistischen Zeit Inflationsgefahren, erhöht daher die Leitzinsen und verteuert damit die Kreditrefinanzierung.

Überzeugende Erklärung für viele Finanzkrisen

Neben Minsky gehört vor allem der gleich alte Charles P. Kindleberger (1919-2003) zu den wiederentdeckten Ökonomen, die Finanzkrisen beschrieben hatten. Seit 2007/2008 beschäftigen sich aber auch aktuelle US-„Starökonomen“ wie Reinhart/Rogoff und viel beachtete „Nachwuchsforscher“ wie Brunnermeier oder Schularick aus wirtschaftshistorischer und/oder makroökonomischer Perspektive mit Finanzkrisen[3]. Das war vorher unmodern, ermöglicht Volkswirten aber eine Warnung vor künftigen Krisen. Die hoffentlich von der Politik gehört werden.

Weiterlesen

Hyman P. Minsky, „Instabilität und Kapitalismus“, Zürich 2011 (darin unter anderem sein berühmter Aufsatz „Die Hypothese der finanziellen Instabilität“ und ein Vorwort von Joseph Vogl).


Quellen:

[1] Wenn auch gemeinsam mit Robert Shiller, einem Vertreter verhaltenökonomischer Finanzmarktmodelle und dem Ökonometriker Lars Peter Hansen, beide wie Fama Forscher an US-amerikanischen Universitäten.

[2] Die folgende Darstellung orientiert sich eng an Ulrich Brasche, „Europäische Integration“, 3. Auflage, München 2013, S. 287-290 („Minskys instablie Finanzmärkte“).

[3] Charles P. Kindleberger, Manien, Paniken, Crashs. Die Geschichte der Finanzkrisen dieser Welt“, Kulmbach 2001; Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, „Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“, Finanzbuchverlag 2010 (der Titel ist ironisch gemeint, denn tatsächlich erkennen die Autoren enorme Parallelitäten und Gesetzmäßigkeiten in den Abläufen); Jüngere Finanzmarktforscher sind z.B. Moritz Schularick (Universität Bonn) oder Markus Brunnermeier (Princeton University).

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Ein Gedanke zu „Minskys These instabiler Finanzmärkte

  1. Agatha P sagt:

    Thiss was great to read

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