ONLINE-UNIS: SPITZENBILDUNG FÜR VIELE ODER ROHRKREPIERER?

Britta Kuhn

Online-Universitäten könnten die Hochschullehre revolutionieren, denn sie sind preiswert und weltweit zugänglich. Warum haben sie die Präsenzlehre noch nicht verdrängt?

„Massive Open Online Courses“ (MOOCs)

“Massive Open Online Courses“ gibt es seit 2012. Erster Anbieter war Udacity[1], es folgten Coursera und edX. Coursera ist heute der größte Anbieter, edX als Gemeinschaftsgründung von Harvard und MIT der vielleicht namhafteste. Bisher bestehen die Kurse überwiegend aus gefilmten Vorlesungen und können von jedermann abgerufen werden, oft sogar kostenlos. Ein vollständiges Bachelor- oder Masterstudium ist noch nicht möglich. Anbieter wie Udacity konzentrieren sich inzwischen vielmehr auf kostenpflichtige Kurse zur beruflichen Weiterbildung im IT-Bereich[2].

Wird Spitzenbildung demokratisiert?

MOOCs scheinen das Zeug zu haben, traditionelle Hochschullehre zu revolutionieren: Das Internet macht die Verbreitung akademischer Inhalte einfach, bunt und preiswert. Spitzenlehre könnte somit jeden Winkel der Erde erreichen – was für eine Wachstums- und Gerechtigkeitschance! Denn die besten Hochschulen der Welt befinden sich heute überwiegend in den USA. Aber nur ein winziger Teil der US-Bevölkerung kommt in ihren Genuss, vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Die wenigsten intelligenten Menschen erhalten Zugang zu Stipendien oder können frei von familiären bzw. beruflichen Pflichten kurz mal in die USA ziehen.

Hemmschuhe

Tatsächlich haben MOOCs die Präsenzhochschulen jedoch noch nicht im Ansatz verdrängt. Erstens bremst Strukturkonservativismus Veränderungen im Hochschulbereich, etwa das deutsche Beamtenrecht oder prominente Bedenkenträger gegen Online-Universitäten[3]. Zweitens eignet sich nicht jedes Fach gleichermaßen für ein Online-Studium – Germanistik z.B. weniger als Informatik. Drittens wollen die wenigsten Studenten und Professoren zu 100 Prozent auf physische Treffen verzichten, ähnlich wie in globaler Wirtschaft oder Partnerschaft. Viertens könnten Markenanbieter wie Harvard durch komplette Online-Studiengänge ihre einträgliche Stamm-Marke kannibalisieren. Fünftens hat nicht jeder Dozent das Zeug zum Superstar – siehe allein die Vorlesungsfilme des Noberlpreisträgers Robert Shiller[4]. Wenige, didaktisch hochtalentierte Dozenten mit exzellenten Englisch-Kenntnissen würden den Markt weitgehend unter sich aufteilen. Ähnlich wie in Film und Theater müsste die große Zahl der Provinz-Dozenten ein langfristig rückläufiges Einkommen verzeichnen oder würde komplett eingespart. Schließlich müsste Lehre, die auch langfristig digital fasziniert, nicht einfach im Hörsaal abgefilmt, sondern im Studio produziert werden. Das aber braucht viel Zeit, Geld und technische Professionalität, wie ich aus eigener Erfahrung weiß[5].

Fazit: Online- und Präsenzlehre ergänzen sich!

Preisgünstige Online-Studiengänge von US-Spitzenuniversitäten könnten weltweites qualitatives Wachstum für eine Bevölkerungsmehrheit fördern. Sie sind daher unbedingt zu unterstützen, auch finanziell. Z.B. könnte der deutsche Fiskus ihren Ausbau finanziell gegen Freiplätze für deutsche Studenten unterstützen. Das würde wesentlich mehr Förderplätze ermöglichen als das heutige Stipendienwesen. Keineswegs muss dagegen jeder Dozent jeder Provinzhochschule ins Netz. So wie Brad Pitt und erstklassige Schauspieler des Wiesbadener Staatstheaters koexistieren, wird es auch für die Hochschullehre eine Marktsegmentierung für jeden Bedarf geben. Wer Spontanität, Interaktion oder physische Präsenz liebt und es sich leisten kann, wird Theater bzw. Hörsaal bevorzugen. Allen anderen eröffnen Film bzw. Online-Universitäten großartige Chancen.


Quellen:

[1] Das U steht für „university“, der Rest für „audacity“ bzw. Kühnheit. Vgl. Sebastian Thrun, „Ich will die Unilandschaft revolutionieren“ Interview in der FAS vom 11.1.2015, S. 17, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/sebastian-thrun-im-gespraech-ueber-seine-online-uni-udacity-13363384.html (Zugriff 3.2.2015).

[2] WISU-Karriere, „Götterdämmerung bei den MOOCs?“, WISU 10/14, S. 1174.

[3] Z.B. Harvards Germanistik-Professor Peter Burgard, vgl. WISU-Karriere, a.a.O.

[4] Z.B. Robert Shiller, Financial Markets, ECON 252, “1. Introduction and What this Course Will Do for You and Your Purposes”, YaleCourses 2011, veröffentlicht am 5.4.2012, https://www.youtube.com/watch?v=WQui_3Hpmmc (Zugriff 3.2.2015).

[5] Siehe z.B. meine Lehrevideos von 2014 zur Kaufkraftparitätentheorie und zur Bankenregulierung nach Basel 3, die noch viel Optimierungsspielraum bieten (nicht nur technischen) und dennoch viel Aufwand erzeugten: https://filer-studip.hs-rm.de/fb-wbs/ls-vwl/Vodcast_Purchasing_Power_Parity_Prof._Dr._Britta_Kuhn.mp4; https://filer-studip.hs-rm.de/fb-wbs/ls-vwl/Vodcast_Bank_Equity_Prof._Dr._Britta_Kuhn.mp4.

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