Britta Kuhn
High Frequency Trade (HFT) bzw. Algorithmic Trading (AT) polarisieren: Praktiker loben sie als liquiditätsschaffend und volatilitätssenkend, weite Bevölkerungsteile würden sie gerne verbieten. Was sagten Wissenschaftler auf einer internationalen Konferenz in Frankfurt?[1]
Modellhandel trifft Institutionenökonomik und Praktiker
Mark Van Achter (Erasmus University Rotterdam) präsentierte einen theoretischen Handelsrahmen, bei dem schnelle und schlaue Händler mehr Liquidität bereitstellten als langsame und weniger gut informierte Marktteilnehmer. Geschwindigkeit wirke demnach tendenziell effizienzsteigernd. Sein Diskutant ergänzte die Modellbetrachtung jedoch um empirische Evidenz wie Flash Crashes, also plötzliche extreme Kurseinbrüche, und Feedback Loops, d.h. Rückkopplungsschleifen.
Ganz praktisch analysierte Sugato Chakravarty (Finance Research Group IGIDR) die Auswirkungen einer Order-to-trade- bzw. OTR-Steuer in Indien: Ihre ausnahmslose Einführung im Jahr 2009 habe die OTR-Quote wie beabsichtigt gesenkt, die Volatilität sei gestiegen, die Liquidität gesunken. Eine Steuererhöhung im Jahr 2013 sei dagegen voller Ausnahmetatbestände und somit ein „non-event“ gewesen: Umgehungsstrategien hätten die OTR-Intensität wieder erhöht, Liquidität und Volatilität seien konstant geblieben. Sein Diskutant verwies auf ähnliche Forschungsergebnisse zur Liquiditätssenkung und Volatilitätserhöhung von Regulierung.
Experteninterviews fasste Miroslav Budimir (Deutsche Börse Group) zusammen. Regulierung begünstige die Marktbereinigung aufgrund sinkender Margen. Zur These abnehmender Heterogenität präsentierte er viel Empirie. Die Regulierungswut sähe die Praxis als PR-Problem des Hochfrequenzhandels, der insbesondere seit dem Buch „Flash Boys“ in der Öffentlichkeit emotional statt rational diskutiert werde. Die anschließende Podiumsdiskussion mit Händlern, Eurex-Spezialist und hessischem Regulierer betonte, dass es sich beim Hochfrequenzhandel um eine Technologie statt einer Strategie handele. Konsens bestand auch darüber, dass HFT durch Regulierung einfach nur teurer werde und dass der Markt in Europa – im Gegensatz zum US-Markt – noch recht fragmentiert sei.
Weitere empirische Studien
Nachmittags präsentierten weitere vier Referenten empirische Untersuchungsergebnisse: James Naughton (Kellog School) analysierte anhand des NYSE 2002-2007 Jump Events bei den Spreads, also starke Veränderungen aufgrund plötzlich auftretender Ereignisse. Seine Erkenntnisse und die methodischen Verbesserungsvorschläge des Diskutanten setzten allerdings besonders viel Spezialwissen voraus. Verständlicher erläuterte Ryan Riordan (Queens University) Effekte eines Lehrverkaufsverbots im Jahr 2008: Die Liquidität habe in allen Marktsegmenten gelitten – was weitgehend der Literatur entspräche. Aber auch die Spreads seien gesunken – was im Widerspruch zu anderen empirischen Studien stehe. Seine Diskutantin, einzige Frau unter allen Vortragenden, präsentierte umfassende Verbesserungsvorschläge zu diesem interessanten Forschungsergebnis. Der Vortrag von Jun Uno (Waseda/Ca’Foscari University of Venice) befasste sich mit Liquiditätseffekten an der Tokioter Börse, Brian Weller (Kellog School) sprach über Tail Risks, also extreme Abweichungen vom Erwartungswert.
Fazit
Die Konferenz war wissenschaftlich erstklassig besetzt. Deutlich wurde auch das gemeinsame Kopfschütteln über irrationale Handelsverbote oder -steuern, die allein dem Wählerwillen geschuldet seien. Genau hier lag aber auch eine Schwäche der Tagung: Die „homines oeconomici“ blieben unter sich. Das andere Defizit: Die ausgiebigen Kaffeepausen dienten nur teilweise dem Gedankenaustausch, da sie wesentlich zur Smartphone-Selbstbeschäftigung genutzt wurden. Hier wären strukturierte Diskussionsrunden zielführender gewesen.
[1] Center for Financial Studies und Deutsche Börse Group, 4th Conference on The Industrial Organisation of Securities and Derivatives Markets: High Frequency Trading, 17. Juli 2015, Goethe University, Frankfurt/Main. Auf diesem Blog zu HFT siehe https://besser-wachsen.com/2014/11/21/destabilisiert-hochfrequenzhandel-finanzmarkte/.