Britta Kuhn
Ökonomische Studien bezweifeln den Erfolg wirtschaftlicher Sanktionen. Zwei Abschlussarbeiten der Wiesbaden Business School bereichern die Diskussion um die Fälle „EU-Russland“ und „Iran“ [1].
Moderne Sanktionen sollen die Schuldigen treffen
Umfassende Sanktionen wurden zuletzt in den 1990er Jahren gegenüber dem Irak verhängt. Sie schädigten vor allem die einfache Bevölkerung, nicht die Machthaber. Seither dominieren gezielte Maßnahmen, die möglichst nur die herrschende Elite belasten sollen. Zu solchen „targeted“ oder „smart sanctions“ zählen beispielsweise individuelle Einreiseverbote und Kontosperrungen im Ausland[2]. Wesentlich umfassender wirkt dagegen ein Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT, unter dem etwa der Iran jahrelang litt. Denn diese Sperre verhindert praktisch eine legale Teilnahme am internationalen Handel[3].
Empirische Studien sprechen gegen Sanktionen
Einen hilfreichen Einblick in die umfassende, vor allem politikwissenschaftliche Sanktionsforschung bot bereits zu Beginn des Syrien-Krieges das Handelsblatt. Demnach hielt Clifton Morgan (Rice University) nur 45% von 900 untersuchten Sanktionen für zielführend. Er relativierte damit eine ältere US-Studie, die sogar nur ein Drittel als effektiv bezeichnet hatte. Amanda Licht (University of South Carolina) wies darauf hin, dass Sanktionen autoritäre Herrscher eher stabilisierten als destabilisierten. Dursun Peksen (University of Memphis) zeigte, dass vor allem unabhängige Medien und das einfache Volk – in Form höherer Kindersterblichkeit und Menschenrechtsverletzungen – unter Sanktionen litten[4]. Eine neuere Studie zu 22 gezielten UN-Sanktionen schlussfolgert, dass nur rund 10% eine Verhaltensänderung hervorbrachten[5].
Wie erfolgreich sind die EU-Sanktionen gegen Russland?
Im Frühjahr 2014 verhängte die EU erstmals Reisebeschränkungen für Personen bzw. Organisationen aus Putins Umfeld und fror deren EU-Konten und -Vermögen ein. Daneben beschränkte sie den Handel mit Waren und Dienstleistungen umfassend. Die russische Seite reagierte unter anderem mit Importverboten für europäische Lebensmittel. Neben dem einbrechenden Ölpreis verschlechterten die EU-Sanktionen die wirtschaftliche Lage Russlands erheblich. Gleichzeitig stieg allerdings Putins Popularität in der Bevölkerung – diese schob nämlich die Ursachen der schlechten Situation eher auf die westlichen Sanktionen und den Ölpreisverfall als auf die eigene politische Führung. Auch die EU-Handelspartner mussten umfangreiche Handelseinbußen verkraften, allein 28% im ersten Halbjahr 2015 gegenüber dem Vergleichszeitraum 2014. Insgesamt bescheinigt die Thesis den verhängten Sanktionen „bisher einen nur ganz eingeschränkten Erfolg“ und hält sie „über eine absehbare Zeit hinweg als wenig aussichtsreich“[6].
Welches Potenzial hat Irans Wirtschaft nach Ende der Sanktionen?
Zwischen 2006 und 2015 sanktionierten der UN-Sicherheitsrat, die EU und die USA den Iran wegen seines Atomprogramms umfassend. Von 2016 bis 2025 sollen sämtliche Beschränkungen der Handels- und Finanzströme aufgehoben werden. Internationaler Währungsfonds und Weltbank prognostizieren einen sprunghaften Anstieg des BIP-Wachstums, kurzfristig vor allem im Öl- und Gassektor, mittelfristig daneben in Branchen wie dem Tourismus. Speziell die traditionell engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland dürften nach Einschätzung von Industrie- und Handelskammer und Germany Trade and Invest (GTAI) profitieren. Bereits geplant ist die Erschließung zahlreicher neuer Öl- und Gasfelder – statt derzeit 2 Gasfeldern sollen zum Beispiel 23 Gasvorkommen mit Hilfe ausländischer Investoren aktiv werden – sowie eine effizientere Fördertechnologie nach jahrelangem Investitionsstau. Der Iran bietet hierbei zahlreiche Chancen: Er verfügt beispielsweise über 78 Mio., überwiegend junge Einwohner, die vergleichsweise gut ausgebildet sind. Auch liegt er zentral zwischen Europa und Asien. Selbst die Risiken sprechen für eine Aufgabe der Sanktionen. Sie liegen unter anderem in politischer Instabilität, dringend erforderlichen Strukturreformen und offenen Fragen bezüglich der Einhaltung des Atomabkommens oder der Zukunft des Ölpreises[7].
Fazit
Wenn sogar „smarte“ Wirtschaftssanktionen derart unwirksam sind, warum gibt es sie dann überhaupt noch? Die Public-Choice-Theorie argumentiert mit der Zielfunktion westlicher Politiker, die vor allem innenpolitisch Zeichen setzen müssten[8]. Auch ich glaube, dass es sich um medientaugliche Symbolpolitik handelt: Westliche Demokratien möchten völkerrechtswidrigem Regierungsverhalten in aller Welt nicht durchweg tatenlos zusehen, gleichzeitig aber keine Kriege führen. Solange Medien bzw. Wähler also Symbolpolitik erwarten, erscheint sie mir sinnvoll, da viel humaner und kostengünstiger als jede militärische Intervention.
Quellen:
[1] Anne Pfirrmann, „Die Wirtschaftssanktionen der EU gegenüber Russland: Eine kritische Analyse und Perspektiven“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 21.3.2016; Tatjana Friedmann, „Ökonomisches Potenzial des Iran nach Ende der Wirtschaftssanktionen“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 1.9.2016.
[2] Hans Christian Müller, „Warum Sanktionen nichts bringen“, Handelsblatt vom 21.9.2011, http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/nachrichten/studien-warum-sanktionen-nichts-bringen-/4632302.html (Abruf 21.9.2016).
[3] Zu Sanktionszielen vgl. auch Anne Pfirrmann, a.a.O., Abschnitt 3.1. Zum SWIFT-Ausschluss des Iran vgl. Tatjana Friedmann, a.a.O., S. 14.
[4] Hans Christian Müller, a.a.O.; zu ähnlich negativen Ergebnissen kommt Anne Pfirrmann, a.a.O., Abschnitt 3.2., v.a. S. 10.
[5] Thomas Biersteker et al., „The Effectiveness of United Nations Targeted Sanctions – Findings from the Targeted Sanctions Consortium (TSC)“, Watson Institute for International Studies, Brown University, November 2013, v.a. p. 7, http://graduateinstitute.ch/files/live/sites/iheid/files/sites/internationalgovernance/shared/Effectiveness%20of%20UN%20Targeted%20Sanctions%20-%206.Nov.2013%20.pdf (Zugriff 24.9.2016).
[6] Anne Pfirrmann, a.a.O., Abschnitte 2.1 (zur Art der EU-Sanktionen), 2.2 (zur Reaktion Russlands), 4.1 (zu den Folgen für Russland, hier v.a. S. 13 f. zu Putins Popularität), 4.2 (v.a. S. 14 zu den Folgen für die EU) und Kapitel 5 (Zitate S. 19 und 20).
[7] Tatjana Friedmann, a.a.O., Abschnitte 2.2 (zur Historie der Iran-Sanktionen), 2.3 (zum geplanten Sanktionsende), 3.1 (zu den BIP-Wachstumsprognosen), 3.2 (zu den deutsch-iranischen Beziehungen), S. 11 (zu Öl- und Gasfeldern), 3.3 (zu geplanten Investitionsmaßnahmen), 4.1 (zu Chancen), 4.2 (zu Risiken) und Anhang I, S. 29 (Zusammenfassung SWOT-Matrix).
[8] Vgl. ausführlich Hans Christian Müller, a.a.O.