Britta Kuhn
Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan: Die fünf Ex-Sowjetrepubliken verdienen bei uns mehr Beachtung. Einen guten Einstieg bietet Thomas Kunze[1].
Kurzer Steckbrief[2]
Kasachstan | Kirgistan | Tadschikistan | Turkmenistan | Usbekistan | |
Einwohner ≈ | 18 Mio. | 6 Mio. | 9 Mio. | 7 Mio. | 32 Mio. |
BIP 2017 ≈ | 156 Mrd. $ | 7 Mrd. $ | 7 Mrd. $ | 42 Mrd. $ | 67,5 Mrd. $ |
Rohstoffe | ja | nein | nein | ja | ja |
Währung | Tenge | Som | Somoni | Manat | Sum |
Hauptstadt | Nursultan | Bischkek | Duschanbe | Aschgabat | Taschkent |
Wichtige politische Anführer seit 1991 (nur Nachname) | Nasarbajew (1990-2019) | Akajew (1990-2005)
Atambajew (2011-2017) |
Rahmon
(seit 1992) |
„Turkmenbaschy“ (1990-2006)
Berdimunchamedow (seit 2007) |
Karimow (1990-2016)
Mirsijojew (seit 2016) |
Gemeinsamkeiten[3]
Alle zentralasiatischen Kulturen sind vom sunnitischen Islam geprägt. Sprachlich gehören vier der fünf Länder zur Turk- und nur tadschikisch zur persischen Sprachfamilie.
Im Kolonialzeitalter rivalisierten Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft im rohstoffreichen Zentralasien. Letztlich kam Afghanistan unter britischen Einfluss und alles andere zum Zarenreich. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Afghanistan unabhängig, das übrige Zentralasien ging in der neuen Sowjetunion auf. Russen bzw. Sowjets führten die Region zentralistisch und stabilitätsorientiert: Bis 1991 existierte ein einheitliches Bildungs- und Gesundheitswesen; die Infrastruktur richtete sich an der schwierigen geografischen Lage statt an Ländergrenzen aus; muslimische Traditionen und ethnische Unterschiede erhielten wenig Raum.
Mit der Unabhängigkeit der fünf Staaten zerfielen das sowjetisch geprägte Bildungs- und Gesundheitssystem sowie die länderübergreifende Infrastruktur: Die vielen jungen Menschen[4] verstehen heute meistens kein Russisch mehr und wenden sich islamistischen Lehren zu. Auch gibt es Konflikte um die Wasserversorgung zwischen armen, aber wasserreichen Ländern (Kirgistan, Tadschikistan) und trockenen, aber ressourcenreichen (Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan). Zwar sind die politischen Anführer noch sowjetisch geprägt, also mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, an einem säkularen Staat und innenpolitischer Stabilität orientiert. Vor allem in Kasachstan, Tadschikistan und Turkmenistan herrscht bis heute eher Personenkult als Pluralismus. Aber diese Anführer sind alt. Nationale und religiöse Konflikte gibt es schon jetzt vor allem im fruchtbaren Fergana-Tal, in dem rund ein Viertel der Zentralasiaten wohnt. Es gehört zu Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Möglich auch, dass sich muslimische Partnerländer in die Quere kommen werden, etwa die Türkei mit Katar. Eine wachsende regionale Rolle spielt schließlich China mit der Neuen Seidenstraße. Die USA dagegen scheiterten nach 1991 mit ihrem Versuch, westliche Demokratievorstellungen in Zentralasien zu verankern. Die EU spielt in der Region bisher praktisch keine Rolle.[5]
Besonderheiten je Land[6]
Kasachstan ist dank einer relativ liberalen Wirtschaftspolitik und umfangreicher Rohstoffe vergleichsweise wohlhabend – trotz Korruption unter dem langjährigen Herrscher Nasarbajew. Viele deutschstämmige Auswanderer, türkische und deutschtürkische Unternehmer machen hier Geschäfte. Die Wirtschaftskontakte nach China werden enger, wichtigster Partner ist aber immer noch Russland. Kasachstan gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Eurasischen Wirtschaftsunion, der neben Russland und Weißrussland inzwischen auch Kirgistan angehört.
Kirgistan gilt als Schweiz Zentralasiens – unter anderem dank hoher Berge, Alpenwirtschaft und fehlender Rohstoffe. Allerdings ist das Land bitterarm und besonders stark vom Islamismus infiltriert. Daneben führt die Hauptdrogen-Route von Afghanistan nach Russland bzw. Europa durch das Land (und Tadschikistan). Untypisch für Zentralasien: Zwei Anführer, darunter eine Frau, gaben ihr Amt freiwillig an demokratisch gewählte Nachfolger ab!
Auch Tadschikistan ist sehr arm und Islamismus-gefährdet. Ein Bürgerkrieg zwischen säkularen und islamistischen Kräften kostete 1993-1997 über 50.000 Tote. Eine geistig-wirtschaftliche Elite existiert nicht mehr. Herrscher Rahmon baut derzeit seinen Sohn als Nachfolger auf. Der Iran versucht, Einfluss zu gewinnen. Tadschikistan erhebt Gebietsansprüche auf die usbekischen Städte Samarkand und Buchara, wo vor allem Tadschiken leben.
Turkmenistan war ein wesentlicher Baumwollproduzent der UdSSR. Das dafür nötige Wasser stammt bis heute aus dem Karakum-Kanal (zwischen Fluss Amudarja und Kaspischem Meer). Ein Großteil versickert im Wüstensand, weshalb der Aralsee (der Nachbarländer Usbekistan und Kasachstan) immer weiter ausgetrocknet. Personenkult und Unfreiheit der Medien erreichen in Tadschikistan nordkoreanische Ausmaße. Das Land wird planwirtschaftlich-autoritär regiert. Trotz Öl- und Gasreichtum steht es deshalb vor dem Staatsbankrott – ähnlich wie Venezuela.
Auch Usbekistan produzierte zu Sowjetzeit viel Baumwolle. Der ausgetrocknete Aralsee sorgt für erhebliche Umweltprobleme. Zusätzlich gefährdet der Bau des tadschikischen Rogun-Staudamms die Wasserversorgung. Neuerdings öffnet sich das Land dem Tourismus: Samarkand, Buchara und Chiwa versetzen in 1001 Nacht. Nicht so Taschkent, mit 3 Mio. Einwohnern die größte Stadt Zentralasiens. Usbekistan verfügt über Gas, Kupfer, Gold und Uran. Ausländische Investoren bevorzugen allerdings noch das wirtschaftsliberalere Kasachstan. Anders als Karimow setzt Anführer Mirsijojew auf Volksnähe und erlaubt den Medien gewisse Freiheiten. Insgesamt gilt Usbekistan im Westen zunehmend als Stabilitätsanker der Region.
Weiterlesen
Aktuell, informativ, aber auch wiederholungsreich: Thomas Kunze, Zentralasien. Porträt einer Region. Berlin 2018. Eher anekdotisch, dafür leicht lesbar: Erika Fatland, Sowjetistan. Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan. Berlin 2017.
[1] Thomas Kunze, Zentralasien. Porträt einer Region. Berlin 2018, S. 236-247.
[2] Thomas Kunze, a.a.O., S. 236-247. (Anmerkung Kuhn zu Nursultan: Kürzlich zu Ehren Nasarbajews umbenannte kasachische Hauptstadt Astana. Nursultan ist sein Vorname.)
[3] Soweit nicht anders angegeben: Zusammenfassung auf Basis Thomas Kunze, a.a.O.
[4] Thomas Kunze, a.a.O., S. 83: Zwischen 1991 und 2018 hat sich die Bevölkerungszahl mehr als verdoppelt.
[5] Details: Thomas Kunze, a.a.O., S. 206 (China), S. 203 (USA) und S. 207 (EU). Näheres zur EU-Zentralasienstrategie: Auswärtiges Amt, Zentralasienstrategie, 13.5.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/europa/erweiterung-nachbarschaft/nachbarschaftspolitik/zentralasien/206702 (Abruf 18.7.2019). Auch die Türkei versuchte zunächst vergeblich, mit US-Hilfe die vier Turk-Länder in einer „großtürkischen Gemeinschaft“ einzubinden (vgl. S. 127). Der Iran strebt eine Union mit Tadschikistan an (vgl. S. 167 f.).
[6] Zusammenfassung auf Basis Thomas Kunze, a.a.O., jeweiliger Länderteil.