Britta Kuhn
Bei der Grundsteuer konkurrieren Flächenmodelle gegen wertbasierte Modelle, Bund gegen Länder, Einzelfallgerechtigkeit gegen Verwaltungsaufwand. Dies verdeutlichte der 9. Wiesbadener Steuertag 2019 der IHK Wiesbaden und der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain[1].
Äquivalenz- gegen Leistungsfähigkeitsprinzip
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beurteilte die deutsche Grundsteuer 2018 als verfassungswidrig. Sie betrifft rund 35 Mio. unbebaute und bebaute Grundstücke[2]. Deren Bewertung beruht bisher auf „Einheitswerten“ von 1964 (West) bzw. 1935 (Ost). Bis zum 31.12.2019 musste deshalb eine Neuregelung her, die bis Ende 2024 umzusetzen ist. Sonst hätten die Gemeinden ab 2020 gut 14 Mrd. Euro jährlich weniger Steuern eingenommen.
Grundsätzlich konkurriert in der Besteuerung das Äquivalenz- mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip. Das Äquivalenzprinzip orientiert sich an der Nutzung staatlicher Leistung. Zum Beispiel trifft die Kfz- und Mineralölsteuer Autonutzer, die öffentliche Straßen verschleißen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip knüpft an den finanziellen Möglichkeiten der Bürger an. Zum Beispiel unterstellt die progressive Lohn- und Einkommensteuer, dass ein zusätzlicher Euro bei einem Millionär weniger zusätzlichen Nutzen stiftet als bei einem Mittellosen. Demnach wäre es – ganz unabhängig von Gerechtigkeitsaspekten – effizient, eher Reiche als Arme für staatliche Leistungen zur Kasse zu bitten.
Flächenmodelle gegen wertbasierte Modelle
Bayern, aber auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag DIHK, bevorzugen bei der Besteuerung von Grundstücken und Gebäuden ein Flächenmodell: Bemessungsgrundlage der Steuer wäre im einfachsten Fall ein fester Betrag je Quadratmeter. Dieser Ansatz entspricht dem Äquivalenzgedanken. Denn Große Anwesen nutzen z.B. mehr öffentliche Straßen- und Abwassermeter. Die Steuer wäre einfach zu erheben, könnte aber ungerecht wirken: Ein armer Rentner mit großem Grundstück im strukturschwächsten Winkel Deutschlands müsste mehr zahlen als ein junger Startup-Millionär, der es im verdichteten Ballungsgebiet nur auf ein Reihenhaus bringt. Vordergründig könnte ein niedriger bzw. hoher Gemeinde-Hebesatz die Ungleichbehandlung neutralisieren. Nicht aber innerhalb heterogener Gemeinden mit Armen- und Villenvierteln.
Das Finanzministerium fand die Flächenbesteuerung dagegen ungerecht. Das SPD-geführte Bundesministerium bevorzugte ein Sachwertverfahren, bei dem unter anderem Bodenrichtwerte zu ermitteln sind und Verkehrswerte eine zentrale Rolle spielen. Diese Steuer entspricht eher dem Leistungsfähigkeitsprinzip, ist aber schwieriger zu erheben. Genau daran war die Reform der Einheitswerte von 1964 bzw. 1935 jedenfalls jahrzehntelang gescheitert. Auf der Konferenz wurde diskutiert, ob die Finanzämter kurzfristig tausende neue Mitarbeiter einstellen müssten. Und ob sich selbst dann sämtliche Objekte binnen fünf Jahren aktuell bewertet ließen.
Verfassungsrechtler waren schließlich im Vorfeld der Einigung uneins gewesen, wer überhaupt für die Grundsteuer zuständig ist: Bund oder Länder? Bei einer Anhörung von vier Experten kam es zu einer Patt-Einschätzung. Eine Grundgesetz-Reform vom 18.10.2019 beendete diese Diskussion. Bund und Länder dürfen nun eindeutig tätig werden. Der Deutsche Bundestag verabschiedete am selben Tag und damit fristgerecht auch eine bundesweite Lösung für die Grundsteuer. Bis Ende 2024 sind daneben abweichende Länderregeln möglich.[3]
Fazit der Autorin
Das BVerfG hatte in der Vergangenheit auch Deutschlands Vermögenssteuer als verfassungswidrig deklariert. Sie wurde aber nicht reformiert, sondern ab 1997 nicht mehr erhoben. Aufwand und Ertrag hätten nämlich nach einer Reform in einem noch ungünstigeren Verhältnis als vorher schon gestanden. Ein unangemessenes Verhältnis zwischen Erhebungsaufwand und Steueraufkommen könnte auch der Grundsteuer drohen, falls das Flächenmodell die Ausnahme bleibt oder kompliziert ausgestaltet wird.
In der Wiesbadener Steuertags-Diskussion regte ich an, die Steuer abzuschaffen und den Gemeinden die Ausfälle über die Einkommensteuer auszugleichen. Deren Aufkommen stieg in den letzten Jahren dramatisch an. Wohl ein zutiefst realitätsferner Vorschlag, hatte doch Mitte 2019 folgende Nachricht für nackte Panik im politischen Berlin gesorgt: Laut Steuerschätzung werden die Steuereinnahmen künftig nicht mehr so stark steigen wie in der Vergangenheit.
[1] IHK Wiesbaden (in Zusammenarbeit mit der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain und den Wirtschaftsjunioren Wiesbaden), „9. Wiesbadener Steuertag 2019: Reform der Grundsteuer – Chance auf ein einfaches und unbürokratisches Modell?“ Wiesbaden, 6.6.2019. Soweit nicht gesondert angegeben, stammen die Informationen von diesem Steuertag. Referenten waren Dr. Martin Worms (Staatssekretär im hessischen Finanzministerium) und Jens Gewinnus (Referatsleiter Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Einkommensteuer, DIHK Berlin). An der Podiumsdiskussion nahm außerdem Werner Thumbs (Leiter Steuern der Profunda Verwaltungs GmbH von Boehringer Ingelheim) teil. Sie wurde von Prof. Dr. Rainer Hartmann (Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, Professur für Steuer- und Wirtschaftsrecht) geleitet.
[2] Vgl. Stefan Bach, „Grundsteuerreform: Aufwändige Neubewertung oder pragmatische Alternativen“, DIW aktuell Nr. 9 vom 9.4.2018, S. 3 ff..
[3] Die Bundesregierung vom 18.10.2019, Grundsteuerreform: Fair, einfach und verfassungsfest, https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/reform-grundsteuer-1639838 (Zugriff 23.10.19)