Britta Kuhn
Japan und China haben viel gemeinsam. Das zeigen drei Bücher von Kai Vogelsang (japanisch-chinesische Geschichte), Wieland Wagner (Japan aktuell) und Matthias Naß (China aktuell).
Kai Vogelsang: Eng verflochtene Geschichte beider Länder
„China und Japan. Zwei Reiche unter einem Himmel: Eine Geschichte der sino-japanischen Kulturbeziehungen“ (Stuttgart 2020) beschreibt die Paradoxien einer Verbindung, die kaum enger sein könne, zugleich aber seit zwei Jahrtausenden mit großen Spannungen einhergehe. Mehrfach schreibt der Sinologie-Professor der Universität Hamburg: „Sie können nicht miteinander, aber sie können auch nicht ohne einander“.[1] Dafür bietet sein Buch zahllose Beispiele. So ähnelten sich z.B. das Erziehungssystem und der Nationalismus in frappierender Weise. Vieles, was als typisch japanisch gelte, sei in Wirklichkeit chinesischen Ursprungs – etwa die Matten, die in Japan Stühle ersetzen. Gleichwohl habe sich Japan viel früher als China radikal modernisiert und verwestlicht. Was in eine technologisch-militärische Überlegenheit mündete, die China schwerste Verletzungen zuführte, die bis heute nicht verheilt seien.
Vogelsangs Geschichte ist einfach und verständlich geschrieben. Sie erklärt, wie die Nummer zwei und drei der Weltwirtschaft zu einander stehen – und warum. Aktuelle geostrategische Konflikte, etwa um Taiwan oder auf der koreanischen Halbinsel, lassen sich dadurch viel besser einordnen. Interessant sind auch die wirtschaftlichen Verflechtungen der beiden asiatischen Großmächte seit den 1980er Jahren. Es fallen Sätze wie dieser, die zum Weiterdenken anregen: „Japanische Direktinvestitionen haben maßgeblich zum chinesischen Wirtschaftswunder beigetragen – und zugleich zum Ende des eigenen Wirtschaftswunders.“ [2]
Wieland Wagner: Nachruf auf Japan – und andere?
„Japan – Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt“ (München/Hamburg 2018) legt dar, wie vergänglich wirtschaftlicher Erfolg sein kann. Der SPIEGEL-Korrespondent zeigt, wie Asiens Nummer eins so schnell und stark an Glanz verlieren konnte – vor allem gegenüber den Aufsteigern China und Südkorea. Seines Erachtens erlauben die „Verfallserscheinungen, die das alternde Japan prägen“ aber auch Rückschlüsse auf die Zukunft dieser beiden Nachbarn und könnten reifen Industrienationen wie Deutschland eine Lehre sein.[3] Denn die Probleme ähnelten sich – Stichworte Überalterung und überlastete Sozialsysteme. Letztlich müsse sich Japan „völlig neu erfinden“.[4] Wie genau, konkretisiert der Autor aber kaum – abgesehen von flacheren Firmenhierarchien, weniger Konsenskultur und mehr individueller Kreativität.
Wagners Bericht ist voll bildhafter Sprache. Ein Lieblingswort lautet „vergreist“. Sein Buch enthält interessante wirtschaftliche und gesellschaftliche Fakten – von der Rolle des Tennos über das kollektive Trauma Fukushima bis zu Abenomics. Diese Wirtschaftspolitik biete kein „nachhaltiges Wachstumskonzept für alternde Industriegesellschaften“.[5] Leider verdünnt der Autor Sachinformationen oft durch Einzelschicksale rein anekdotischen Gehalts. Andere Beispiele wie die „Nachrufe“ auf Sony, Sharp & Co. verdeutlichen dagegen eindrücklich, wie eine Volkswirtschaft den Anschluss verpasst.
Matthias Naß: Geostrategische Bedrohung durch Xi’s China
„Drachentanz. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet“ (München 2021) bietet einen aktuellen Rundblick auf die Volksrepublik, in dem viel negative Kritik steckt. Corona ist ebenso enthalten wie das Investitionsabkommen mit der EU, aber auch die zugespitzte Lage in der Uiguren-Provinz Xinjiang, im ehemals unabhängigen Hongkong und in der Straße von Taiwan. Auch die Belt-and-Road-Initiative stellt der ZEIT-Korrespondent bis Anfang 2021 dar, indem er beispielsweise auf die diesbezügliche Ernüchterung in den mittel- und osteuropäischen Partnerländern eingeht. Nicht zu kurz kommen daneben Chinas Geschichte, die Rolle der Partei oder Deutschlands traditionell enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Regime.
Das Buch ist spannend und rhetorisch versiert geschrieben.[6] Zu viele Anekdoten und Wiederholungen, beispielsweise zur Neuen Seidenstraße oder der 5G-/Huawei-Problematik, schmälern aber den Erkenntnisgewinn. Andererseits lassen sich die Kapitel dadurch isoliert lesen. Naß argumentiert sehr chinakritisch. Er zeigt auf, wie sehr der ohnehin bestehende Totalitarismus der Volksrepublik unter Xi Jinping weiter gewachsenen sei. Damit unterscheidet er sich von vielen wohlwollenden deutschen Beobachtern wie zum Beispiel Stefan Baron.[7]
Fazit: Lehren für Deutschland
Erfolg ist vergänglich. Eine Binsenweisheit, die sich auch bei Japans wirtschaftlichem Auf- und Abstieg bewahrheitet. Die zeigt, dass auch Chinas Wachstum an Grenzen kommen könnte. Die schließlich Deutschland davor warnen sollte, wie Japan in Strukturkonservativismus zu erstarren und damit langfristig den wirtschaftlichen Anschluss zu verlieren.
Quellen:
[1] Kai Vogelsang, „China und Japan. Zwei Reiche unter einem Himmel: Eine Geschichte der sino-japanischen Kulturbeziehungen“, Stuttgart 2020, z.B. S. 363 und S. 387.
[2] ibid, S. 405.
[3] Wieland Wagner, „Japan – Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt“, München/Hamburg 2018, S. 14.
[4] ibid, S. 18.
[5] ibid, S. 16.
[6] Matthias Naß, „Drachentanz. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet“, München 2021, Rhetorisch-inhaltliche Kostprobe auf S. 31: „Befremdet und furchtsam blicken viele Menschen auf dieses riesige Land, das von Jahr zu Jahr einen größeren Schatten auf die Welt wirft. Ein Land, das seine Erfolge feiert, aber Fehler nicht zugeben kann. Das Kritik nicht duldet, das keine Verbündeten hat und glaubt, sich Freunde kaufen zu können. Das mit seinem Rückfall in die Diktatur die Errungenschaften von vierzig Jahren Reformpolitik gefährdet. Und das mit seiner neuen Großspurigkeit die Bewunderung der Welt für den beispiellosen Wiederaufstieg einer stolzen alten Kulturnation aufs Spiel setzt.“
[7] Zuletzt erschienen: Stefan Baron, „Ami go home!: Eine Neuvermessung der Welt“, Berlin 2021.