Britta Kuhn
Linda Scott belegt in „The Double X Economy“ den positiven Zusammenhang zwischen Gleichstellung und Wirtschaftswachstum. Hier die Zusammenfassung meiner Buchbesprechung in der Zeitschrift Feministische Studien.[1]
Zwei Ursachen der Unterbelichtung
Die emeritierte Oxford-Professorin für Entrepreneurship und Innovation nennt zwei Hauptgründe dafür, dass die Wirtschaftswissenschaften den ökonomischen Beitrag von Frauen seit jeher unterschätzen oder sogar ignorieren: „fehlende Daten und eine engstirnige Vorstellung davon, wie unsere Tauschsysteme funktionieren“ (S. 15). Geschlechterdifferenzierte Daten seien Mangelware und die Ökonomie alter Schule messe nur, was monetär bewertet werde. Der Großteil weiblicher Arbeit weltweit finde aber unbezahlt statt, falle also durchs Raster.
Gleichstellung fördert Wirtschaftswachstum…
Scott füllt diese Leerstelle mit Zahlen. So geht ein hoher „Index wirtschaftlicher Möglichkeiten von Frauen“ (S. 20) mit einem üppigen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und starker globaler Wettbewerbsfähigkeit einher. Ihr Buch liefert eine Fülle frauenspezifischer Daten und Hintergrundinformationen, die vor allem zeigen: Weibliche Inklusion bekämpft Armut in den zahllosen Entwicklungs- und Schwellenländern dieser Welt. Systematisch erarbeitet die Autorin den weiblichen Wertschöpfungsbeitrag, der z.B. in der Kaffeeproduktion in krassem Widerspruch zu wirtschaftlichen Eigentumsverhältnissen steht. Daneben unterbreitet sie auf der Basis von Feldstudien konkrete Verbesserungsvorschläge: So brechen in armen Ländern weniger Mädchen mit Eintritt der Menstruation die Schule ab, sobald sie Zugang zu Binden (genau: Binden!) erhalten. Ihr Buch analysiert aber auch die Historie der ökonomischen Frauen-Unterwerfung oder weibliche Berufstätigkeit im Länder- und Zeitvergleich.
…Vorurteile bremsen Wirtschaftswachstum
Scott detailliert Hemmnisse, die aus Vorurteilen resultieren. Beispielsweise limitieren in Südasien zwei Drittel der Regierungen weibliche Nachtarbeit aus ideologischen Gründen. In den reichen OECD-Ländern sind es null Prozent. Die Autorin beleuchtet daneben, wie sehr eine bessere finanzielle Teilhabe von Frauen die weltweite Investitionstätigkeit und damit das Wachstum beflügeln könnte.
Grenzen der Faktenanalyse
So stark das Buch in quantitativer Hinsicht ist: Bei den qualitativen Themen bleiben Fragen offen. Die Schieflage im Studienfach Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), die der Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforum nachweist, erklärt Scott z.B. so: „Männer dominieren also ein Fach, das insgesamt sehr wenige Studierende hat“ (S. 225). Und verweist auf weitere Studien, nach denen Frauen in der IKT-Branche derart diskriminiert würden, dass diese Berufe unattraktiv für sie seien. Aber ist es wirklich damit getan, IKT-Fächer als weniger relevant abzutun und nur die Arbeitsverhältnisse für den dortigen Frauenmangel verantwortlich zu machen? Warum untersucht Scott dann nicht das große Fach Ingenieurwesen, das sie in ihren Abbildungen ebenfalls mit Zahlen unterfüttert? Oder länderspezifische Unterschiede in der Fächerwahl, etwa zwischen liberalen Demokratien und autoritären Systemen? Warum schwankt die Forscherin gerade an diesem zentralen Punkt zwischen faktenbasierten Aussagen und emotionalen Narrativen? Daneben konzentrieren sich Teile des Buches auf Gleichstellungsdefizite in reichen Ländern wie den USA –purer Luxus im Vergleich zu den Frauen- und Mädchenschicksalen in den 90 Prozent der Weltbevölkerung, die eben nicht in reichen Ländern leben. Offen bleibt schließlich auch bei Scott, warum ganz genau sich die wirtschaftliche Exklusion von Frauen seit Jahrtausenden hält.
Quellen:
[1] Deutsche Übersetzung von Stepanie Singh, auf die sich die folgenden Wortzitate beziehen: Linda Scott, Das weibliche Kapital, München 2020. Buchbesprechung: Feministische Studien 2/21, S. 387-389.