Britta Kuhn
Jorgen Randers aktualisiert den Club of Rome-Bericht von 1972[1]
Vor 40 Jahren schlug er wie ein Bombe ein und veränderte das Denken einer ganzen Generation: Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome[2]. Er zeichnete ein pessimistisches Zukunftsbild für die weltweite Entwicklung bis 2100 und wurde nun, nach 40 Jahren, von einem Co-Autor der damaligen Studie aktualisiert. Die neue Vorhersage erstreckt sich auf die kommenden 40 Jahre, verzichtet auf Szenario-Analysen und kommt insgesamt zu einem positiveren Ausblick.
Weltweit verlangsamtes Wachstum bis 2052
Randers prognostiziert, dass die Weltwirtschaft weiter wachsen wird. Zur Jahrhundertmitte sei das globale BIP 2,2mal so groß wie heute. Allerdings verflache das Wachstum in den letzten Jahren des Vorhersagezeitraums aufgrund der Bevölkerungs- und Produktivitätsentwicklung und laufe bis 2052 aus. Die Weltbevölkerung erreiche kurz nach 2040 ihren Zenit bei 8,1 Milliarden Menschen und sinke danach aufgrund zunehmender Verstädterung bis 2052 wieder auf das heutige Niveau. Die schrumpfende Bevölkerung verringere auch die Produktivität, die daneben durch soziale Unruhen und extremes Wetter beeinträchtigt werde. Die Welterwärmung steige kontinuierlich, zunehmende Investitionsanforderungen – zum Beispiel für die Beseitigung von Unwetterschäden, für Schutzmaßnahmen wie höhere Deiche und für neue Energietechnologien – führten schließlich ab 2045 zu stagnierenden Konsummöglichkeiten. Dies verschärfe die sozialen Spannungen. Immerhin 2 Milliarden Bürger würden weiterhin in Armut leben[3].
Eine Zuspitzung der Ressourcen- und Klimaprobleme befürchtet der Norweger wegen der zunehmend notwendigen Reparaturinvestitionen „erst“ in der zweiten Jahrhunderthälfte. Dann werde sich die Klimaerwärmung beschleunigen. Denn die kurzfristige Ausrichtung kapitalistischer und demokratischer Systeme versäume es in der ersten Jahrhunderthälfte, die langfristig nötigen Entscheidungen zu treffen[4]. Vielmehr würde die Menschheit erst tätig, wenn der Schaden des Klimawandels nicht mehr zu übersehen sei[5].
Große regionale Unterschiede
Die Studie analysiert fünf Weltregionen: Die USA, alle übrigen OECD-Mitglieder, China, die „BRISE“-Schwellenländer (Brasilien, Russland, Indien, Süd-Afrika und zehn weitere[6]) sowie den Rest der Welt mit derzeit 2,1 Milliarden Bewohnern. Die BRISE-Schwellenländer würden Fortschritte machen, die restliche Weltbevölkerung arm wie heute bleiben. Als größter Verlierer gegenüber dem Status-quo entpuppt sich die gegenwärtige weltweite Wirtschaftselite, vor allem in den USA, als wichtigster Gewinner China[7]. China und die großen Schwellenländer genössen im Jahr 2052 einen höheren Lebensstandard als heute. Die gegenwärtige Wirtschaftselite – damit meint Randers Menschen in OECD-Ländern mit einem Durchschnittskonsum von 28.000 USD pro Jahr – würden dagegen nicht von Verbesserungen profitieren, sondern nach 2030 stagnierenden oder sinkenden Konsum erfahren[8].
Wie für die Weltgemeinschaft insgesamt fasst Randers seine regionalen Prognosen in kompakten Abbildungen zusammen[9]. Den interregionalen Vergleich dieser makroökonomischen Vorhersagen, etwa zur Bevölkerungsentwicklung, den CO2-Emissionen, der BIP- und Konsumentwicklung erschwert das Buch allerdings dadurch, dass die Ordinate keine absoluten, sondern skalierte Werte enthält. Man sieht also zum Beispiel, dass die USA ihren maximalen Konsum im Jahr 2025 erreichen werden und China erst im Jahr 2045. Nur das Kleingedruckte oder der umfangreiche Fließtext lassen aber die Größenordnungen nachvollziehen[10]. Danach dürfte sich zum Beispiel der chinesische Konsum in den nächsten 40 Jahren verfünffachen und das BIP vervierfachen[11]. Oder: China wird bis 2052 das 2,5-fache BIP der USA erwirtschaften, die USA repräsentierten dann nur noch 10 Prozent der Weltwirtschaft und wären keine Supermacht mehr[12]. Oder: Der stagnierende Konsum in den reichen Ländern vermehre dort die sozialen Spannungen[13].
Abbildung 1: Wann ist der Höhepunkt erreicht? Die wichtigsten Schätzungen je Weltregion
Vorhersage statt Szenario-AnalyseEigene Darstellung auf Basis der angegebenen Quellen (*: Eigene Zahlenschätzung auf Basis der jeweiligen Abbildung bei Jorgen Randers)
Während der ursprüngliche Bericht von 1972 auf 12 Szenarien bis zum Jahr 2100 beruhte, trifft Randers „nur“ eine 40-Jahre-Vorhersage auf Basis externer Projektionen anderer Wissenschaftler und Zukunftsforscher[14]. Zahlreiche Einschübe anderer Autoren ergänzen seine Schätzungen. Auch überlegt er, was sich aufgrund bestimmter unvorhergesehener Ereignisse an seiner Prognose ändern könnte. Allerdings hält er all diese Eventualitäten, beispielsweise eine Finanzschmelze, eine Seuche oder (Gegen-)Revolutionen in China bzw. den USA, für unwahrscheinlich[15]. Es überrascht daher, dass er sich für das Jahr 2052 umgekehrt eine Welt ohne EU vorstellen kann und in einigen Ländern einen Zeitgeist, der sich auf das Management einer schrumpfenden Wirtschaft („degrowth“) konzentrieren werde[16].
Hoffnungsvolle Annahmen…
Randers‘ Zukunftsvision ist optimistisch: Seine vergleichsweise niedrige Bevölkerungsschätzung führt zwar zu weniger BIP-Wachstum, dafür aber auch zu geringeren ökologischen Problemen[17]. Der Lebensstandard falle nicht abrupt, die Probleme hinsichtlich Öl, Nahrungsmitteln, Wasser und anderen Ressourcen seinen lösbar[18]. Er distanziert sich ausdrücklich von pessimistischeren Vorhersagen manch eines Gastautors in seinem Buch, nach denen sich die Menschheit nicht schnell genug an die beiden Herausforderungen der ungleichen Einkommensverteilung und des Klimawandels anpassen werde[19]. Als positive Gegentrends identifiziert er eine erhöhte Ressourceneffizienz und klimatauglichere Problemlösungen sowie eine Verschiebung der gesellschaftlichen Prioritäten von Pro-Kopf-Wachstum zu menschlichem Wohlergehen[20]. Der Kapitalismus werde verändert überleben, Unternehmen würden auch die ökologischen und sozialen Folgen ihrer Tätigkeit beachten und berichten müssen[21]. Es werde künftig genügend Arbeitsplätze geben und der Übergang der globalen Führung von den USA auf China verlaufe friedlich[22].
…und auch Trivialitäten
Teilweise zynisch und/oder banal erscheinen 20 persönliche Ratschläge des Autors. So empfiehlt er beispielsweise, mehr auf Zufriedenheit als auf Einkommen zu achten, den eigenen Kindern nicht die Liebe zur Wildnis beizubringen, sich die Sehenswürdigkeiten dieser Welt anzusehen, bevor sie von den Massen ruiniert seien, oder die Kinder zu ermutigen, Mandarin zu lernen[23].
Fazit: Weniger gewagt als Originalbericht von 1972
Die aktuelle Vorhersage sieht die wesentlichen Wachstumsbremsen der Zukunft weniger in einer Abkehr vom Wachstumsgedanken oder knapperen Ressourcen und eher in der langsameren Bevölkerungs- und Produktivitätsentwicklung. Unsere fossilen Energien würden durch erneuerbare Energien ersetzt, allerdings so langsam, dass die Erderwärmung zu Schäden führe, die teure Reparatur- und Schutzinvestitionen nach sich zögen[24]. Die eigentliche Herausforderung läge in einer Abkehr vom Kurzfristdenken in Bevölkerung, Unternehmen und Markt[25].
Insgesamt zeigt „2052“ zwar die mit der Klimaerwärmung verbundenen Probleme auf, verzichtet aber auf Kollaps-Szenarien und fügt sich damit in die optimistische Literatur zum grünen Wachstum[26]. Aha-Effekte wie vor 40 Jahren, als der Club of Rome das Denken einer ganzen Generation revolutionierte[27], bleiben aus. Insofern schmelzen die vom Verlag und in den Medien hochstilisierten Gemeinsamkeiten der neuen mit der alten Studie[28] auf einen Faktor zusammen: Jorgen Randers.
[1] Jorgen Randers, “2052. A Global Forecast for the Next Forty Years. A REPORT TO THE CLUB OF ROME COMMEMORATING THE 40TH ANNIVERSARY OF The Limits to Growth”. White River Junction (Vermont) 2012. Deutsche Übersetzung: „2052. EINE GLOBALE PROGNOSE FÜR DIE NÄCHSTEN 40 JAHRE“, München 2012. Die folgenden Quellenangaben beziehen sich auf das englisch-sprachige Original.
[2] Dennis L. Meadows u.a., „Die Grenzen des Wachstums: Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“, Stuttgart 1972. Vgl. auch kurz Marc Fensterseifer, „Wachstumskritik: Ein Überblick“, 01.04.2012, https://besser-wachsen.com/2012/04/01/wachstumskritik-ein-uberblick/ (abgerufen am 03.11.2012).Oder lang Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 04.03.2012, „Die Grenzen des Wachstums“, S. 41-46.
[3] Jorgen Randers, a.a.O., S. 354 f. und S. 230 in Verbindung mit S. 232, Abbildung 9-1a.
[4] Jorgen Randers, a.a.O., S. 355. Details zur kurzfristigen Ausrichtung der Politik: S. 164-166.
[5] Jorgen Randers, a.a.O., S. 165.
[6] Indonesien, Mexiko, Vietnam, Türkei, Iran, Thailand, Ukraine, Argentinien, Venezuela, Saudi-Arabien. Jorgen Randers, a.a.O., S. 357.
[7] Jorgen Randers, a.a.O., S. 355.
[8] Jorgen Randers, a.a.O., S. 169.
[9] Jorgen Randers, a.a.O., S. 232 f. (Welt), 268 f. (USA), 276 f. (China), 284 f. (OECD ohne USA), 290 f. (BRISE), 298 f. (Rest der Welt).
[10] Die genauen Zahlenwerte lassen sich über die Internetseite www.2052.info nachlesen, vgl. Jorgen Randers, a.a.O., S. 58.
[11] Jorgen Randers, a.a.O., S. 275.
[12] Jorgen Randers, a.a.O., S. 270.
[13] Jorgen Randers, a.a.O., S. 355.
[14] Jorgen Randers, a.a.O., S. 302 und S. 354.
[15] Jorgen Randers, a.a.O., S. 250-254.
[16] Jorgen Randers, a.a.O., S. 191.
[17] Jorgen Randers, a.a.O., S. 230 f..
[18] Jorgen Randers, a.a.O., S. 234.
[19] Z.B. bzgl. GLIMPSE 2-1, vgl. Jorgen Randers, a.a.O., S. 19.
[20] Jorgen Randers, a.a.O., S. 354.
[21] Jorgen Randers, a.a.O., S. 210.
[22] Jorgen Randers, a.a.O., S. 239-250, hier S. 240 f. (Frage 2) und S. 246-248 (Frage 6).
[23] Jorgen Randers, a.a.O., S. 328-350, hier S. 329 f. (Rat 1), S. 332 f. (Rat 4), S. 333 f. (Rat 6), S. 340 (Rat 11).
[24] Jorgen Randers, a.a.O., S. 230.
[25] Jorgen Randers, a.a.O., S. 235.
[26] Ausführliche Darstellung und Kritik: Niko Paech, „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“, München 2012, Kapitel IV, S. 71 ff..
[27] Dirk Heilmann und Hans Christian Müller, „Große Wirkung trotz vieler Fehler“, Handelsblatt vom 10.5.2012, S. 16.
[28] Kurzbeschreibung des Verlags: „Vierzig Jahre später holt der Club of Rome erneut zu einem großen Wurf aus.“ http://www.oekom.de/buecher/themen/politikgesellschaft/archiv/buch/2052-der-neue-bericht-an-den-club-of-rome.html (abgerufen am 03.11.2012). Oder Dirk Heilmann und Hans Christian Müller, a.a.O.: „Randers war 1972 einer der Autoren der ersten Studie – jetzt hat er ein Update verfasst“.