Britta Kuhn
Niko Paech bündelt seine Gedanken zur Postwachstumsökonomie
Das Büchlein ist ein leidenschaftliches Plädoyer für „weniger ist mehr“ und fasst Paechs Gedanken überwiegend leicht lesbar zusammen. Es fordert vor allem den Rückbau der Fremdversorgung und damit auch der internationalen Arbeitsteilung, rechnet gründlich mit „grünem Wachstum“ ab und deckt die Denkfehler globaler Gerechtigkeitspostulate auf. Seine Vorschläge bieten gleichwohl erhebliche Angriffsflächen: Will Paech zurück in die 1960er Jahre? Ist es sinnvoll, handwerkliche Tätigkeiten derart zu verherrlichen? Stärkt sein Weg nicht in Wirklichkeit die konservative „Frauen-zurück-an-den-Herd-Bewegung“? Und übertreibt er nicht maßlos?
Wohlstandsdämmerung
Wir leben über unsere Verhältnisse. Soweit, so bekannt. Paech verdeutlicht aber in dramatischer Klarheit die verschiedenen Dimensionen dieser „Entgrenzung“ in Kapitel I bis III: Wir verschuldeten uns weltweit ohne jedes Maß gegenüber den folgenden Generationen (zeitliche Entgrenzung) und seien daher systembedingt zum Wachstum verdammt. Wir lebten aufgrund einer extremen Arbeitsteilung vollständig jenseits unserer eigenen physischen Möglichkeiten (körperliche Entgrenzung). Und wir überwänden auch geografische Entfernungen ohne Rücksicht auf Verluste (räumliche Entgrenzung). Politisch möglich sei das Ganze nur, weil die Nutznießer dieses Lebens längst in der Mehrheit seien. Aber die damit verbundene Produktions- und Lebensweise sei weder effizient – Paech geht mit den herrschenden „Effizienzmythen“ hart ins Gericht –, noch mache sie glücklich. Konsequenterweise kritisiert der Ökonom daher auch das marxistische Gesellschaftsmodell, das „Ausbeutung“ nur auf menschliche Arbeit beschränke, obwohl wir es doch mit einer umfassenderen Ressourcenplünderung zu tun hätten. Übertrügen wir stattdessen den kategorischen Imperativ auf den Klimaschutz, so stünde jedem Weltbewohner jährlich eine individuelle CO2-Menge von rund 2,7 Tonnen zu – gegenüber den geschätzt elf Tonnen eines durchschnittlichen Bundesbürgers[2].
Weniger Fremdversorgung – national und weltweit
Unsere Wirtschaft hänge zu stark von „überregionalen Versorgungsketten und Marktdynamiken“ ab. Die Wohlstandsexpansion der Industrieländer wäre ohne vertiefte Arbeitsteilung unmöglich gewesen, führe aber zu immer mehr Instabilität und Ressourcenplünderung[3]. Mehr Versorgungssicherheit (Resilienz) setze einen Rückbau der Fremdversorgung voraus. In Kapitel VI umreißt der Autor deshalb eine Postwachstumsökonomie, die auf sinkendem materiellen Konsum, erhöhter lokaler Produktion und Selbstversorgung basiert. Die heutige 40-Stunden-Woche geht auf 20 Stunden zurück. Dieser „monetärer Bereich“ fertigt vor allem verstärkt regional und verlängert die Nutzungsdauer der Produkte. Die übrigen 20 Stunden dienen dem „entkommerzialisierten Bereich“ in Form von „Suffizienz“ und „Subsistenz“. Wir sollen beispielsweise Wohlstandsballast abwerfen, mehr selbst produzieren, Leistungen unentgeltlich tauschen, Produkte gemeinsam nutzen und uns ehrenamtlich betätigen[4]. Zur Umsetzung seiner Vorschläge entwickelt Paech zahlreiche Politikempfehlungen: Er will zum Beispiel regionale Währungen stärken, die weitere Bodenversiegelung sofort stoppen und den Subventionsdschungel durchforsten[5].
Abrechnung mit „grünem Wachstum“…
Detailliert und kenntnisreich kritisiert Paech im vierten Kapitel sämtliche Ansätze, die eine Vereinbarkeit von materiellem Wachstum und Umweltschutz behaupten. Er unterscheidet relative und absolute Entkopplung. In der Praxis dominiere die relative Entkopplung, bei der die CO2-Menge je Wertschöpfungseinheit zwar sinkt, aber absolut eben weiter zunimmt. Diese „Rebound-Effekte“ verschärften die ökologische Zerstörung, die lediglich verlagert würde, zum Beispiel ins Ausland. Völlig aussichtslos sei die absolute Entkopplung, bei der das Bruttoinlandsprodukt wachse und gleichzeitige die Umwelt absolut entlastet werde.
…und „globaler Gerechtigkeit“
Paech weist auch auf DIE Schwachstelle linker Argumentation hin, die Konsum und Mobilität für alle fordert: „Bei hinreichender Verbreitung des auf Entgrenzung beruhenden Wohlstandsmodells (gebietet dies nicht der Imperativ globaler Gerechtigkeit!?) müsste die Erde irgendwann ausschließlich von wohlsituierten Konsumenten bevölkert sein, die allerdings niemanden mehr haben, dem sie die Schutzarbeit der physischen Produktion zuschieben können“[6]. So trivial diese Erkenntnis ist – man stelle sich vor, alle Chinesen und Inder legten das Konsum- und Mobilitätsverhalten eines Durchschnitts-Deutschen an den Tag –, so intensiv werden ihre ökologischen Folgen gerade auch bei ATTAC oder DIE LINKE ignoriert.
1960er-Jahre-Nostalgie?
Paech’s Vorschläge erinnern an die späten 1960er/frühen 1970er Jahre: Sämtliche Mütter mangels Einkommen und technischer Unterstützung mit unbezahlter Hausarbeit ausgelastet, ein Familienurlaub pro Jahr nah der Heimat, geflickte Kleidung der älteren Geschwister und ausschließlich Freizeitangebote, die Kinder selbständig erreichen konnten. Zweifellos war die konsumtive Ökobilanz dieser Zeit der heutigen überlegen. Wer sich aber auch noch an die damalige Industrieproduktion zum Beispiel im Ruhrgebiet erinnert, weint dieser Zeit keine Träne nach. Denn was Paech als „Industriebrachen“ beklagt, die der Schumpeter’schen schöpferischen Zerstörung zum Opfer gefallen seien[7], war zur aktiven Zeit mit erheblichen Lärm- und CO2-Emissionen sowie vielen weiteren langfristigen Umweltproblemen verbunden.
Glorifizierung des Handwerks?
Durchgehend bemängelt der Verfasser „eine Verkümmerung handwerklichen Geschicks“, unsere völlige Abhängigkeit von „Energiesklaven“ und eine dadurch sinkende körperliche Belastbarkeit[8]. Nicht-materielle Dienstleistungen aller Art hält er demgegenüber für substanzlos[9]. Das ist empirisch unhaltbar: Stiftet ein Psychologe, der einen Depressiven durch eine Gesprächstherapie heilt, etwa weniger Nutzen als ein Handwerker, der die Fahrrad-Produktion von einem Roboter übernimmt? Gerade geistige Leistungen lassen sich eben noch nicht so stark automatisieren wie Routine-Arbeiten, dies erklärt auch ihre höhere Entlohnung am Markt. Zudem ist es gerade nicht so, dass Handwerker als „bildungsfern“ diskreditiert werden und promovierte Philosophen einen hohen Sozialstatus genießen, wie der Autor vermutet[10]. Witze über taxifahrende Geisteswissenschaftler sind Legion. Schließlich argumentiert der Verfasser bei diesem Thema ungewohnt flach, Beispiel: „Bis heute existiert kein Auto oder Flugzeug, das sich mit flüssigem Wissen anstelle mit Benzin bzw. Kerosin auftanken lässt.“[11] Worauf basiert der Übergang vom Benzinfresser der frühen 1970er Jahre zum 1-Liter-Auto, wenn nicht auf Wissen?
Sargnagel für die Frauenbewegung?
Zweifellos steht Paech dem Feminismus theoretisch wohlwollend gegenüber. Denn in seiner Welt würden Frauen UND Männer nur noch 20 Wochenstunden am Markt arbeiten, so dass Männer erheblich mehr Zeit als heute für Haus- und Familienarbeit hätten. Nur zeigt er keinen Weg auf, der zu diesem Ziel führen könnte. Würden die Masse der Männer die neu gewonnene Freizeit tatsächlich zum Kuchenbacken, Handwerken und Stricken verwenden? Oder würden nicht eher Frauen, die sich heute den Kuchenkauf von ihrem Marktlohn leisten können, zurück in die Küche gezwungen? Und strickt die moderne Frau wirklich so gerne, wie gerade konservative Medien nahelegen?[12] Oder kauft sie lieber Pullover, um in ihrer Freizeit zu lesen? Entstand die deutsche Frauenbewegung nicht gerade aufgrund der Beobachtung, dass in den Kommunen der 1968er-Protestbewegung die Frauen die WCs reinigten und die Kinder betreuten, während die Männer über Politik diskutierten? Ist ehrenamtliches Engagement nicht oft unfassbar ineffizient? Frau denkt hier an zeitfressende und zugleich unergiebige Organisationskomitees in Kindergarten, Schule und Kirche, die im bezahlten Markt undenkbar wären. Paech will über diesen „entkommerzialisierten Bereich“ die sozialen Beziehungen stärken. Aber ist es nicht mitunter viel sozialverträglicher, einem professionellen Maler den Klassenanstrich zu überlassen, um sich samstags mit FreundInnen oder der Familie konzentriert zu beschäftigen?
Maßlos übertrieben?
„Das grandiose Scheitern bisheriger Anstrengungen, ökologische Probleme anstatt durch einen Rückbau des ruinösen Industriemodells mit Hilfe technischer Innovationen zu lösen, ähnelt einer Hydra, der für einen abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen.“[13] Aussagen wie diese durchziehen das Buch. Sie machen es lebendig, sind von den Lesern aber jeweils kritisch zu durchdenken. Auch die Bemängelung des „kerosintriefenden Bildungs-, Projekt und Party-Nomadentum“[14] wirkt übertrieben. Dass Paech aber kein weltfremder Idealist ist, verdeutlicht allein die Aussage des Munich Re-Chefs Nikolaus von Bomhard in einem FAZ-Interview: „Wir erkennen inzwischen den Fußabdruck des Klimawandels in unserer Schadenstatistik.“[15]
Fazit: Unbedingt lesenswert!
Paechs Buch inspiriert zum Umdenken und provoziert zu reflektiertem Widerspruch. Mehr kann ein Buch kaum leisten. Es zeigt, dass die Reduktion materiellen Konsums in den reichen Ländern individuell und weltweit zu einem besseren Leben führen könnte und kurzfristig möglich ist. Es deckt identische Denkfehler vermeintlicher politischer Gegner auf („Eingenebelt von exakt derselben Fortschrittsillusion streiten Neoliberale und Marxisten um die gerechte Verteilung eines mutmaßlichen Ertrags menschlicher Leistungen, der in Wahrheit Kapitalverzehr darstellt.“[16]) und leitet daraus schmerzhafte, aber zu Ende gedachte Fragen ab wie „Lässt sich Plünderung etwa dadurch legitimieren, dass die Beute hinreichend gerecht verteilt wird?“[17] Er schreibt dabei nicht ohne Humor (z.B. zum „grünen Wachstum“: „Das Ganze mutet wie eine magische Diät für Übergewichtige an. ‚Friss das Doppelte – und nimm ab dabei!‘“[18]) und wird auch philosophisch (z.B. bedeute „aufgeklärtes Glück, … nicht nur zu genießen, sondern dabei mit sich selbst im Reinen zu sein.“[19]) Dieser hohe intellektuelle Nutzwert entschädigt für manch eine umständliche Formulierung, Wiederholung oder polemische Übertreibung.
[1] Niko Paech, „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“, München 2012.
[2] Niko Paech, a.a.O., S. 58 und S. 99.
[3] Niko Paech, a.a.O., S. 7 f. und 64 ff., Zitat auf S. 7.
[4] Zusammenfassung: Niko Paech, a.a.O., Abbildung auf S. 151.
[5] Niko Paech, a.a.O., S. 134 ff.; zum Subventionsabbau vgl. Hannes Hoberg, „Qualitatives Wachstum finanzierbar machen, Teil I: Subventionspolitik in Deutschland neu ausrichten“, 10.03.2012, https://besser-wachsen.com/2012/03/10/qualitatives-wachstum-finanzierbar-machen-teil-i-subventionspolitik-in-deutschland-neu-ausrichten/ (Zugriff 29.11.2012).
[6] Niko Paech, a.a.O., S. 53.
[7] Niko Paech, a.a.O., S. 33 f.
[8] Z.B. Niko Paech, a.a.O., S. 38 ff.
[9] Z.B. Niko Paech, a.a.O., S. 44 ff, v.a. S. 48.
[10] Niko Paech, a.a.O., S. 56.
[11] Niko Paech, a.a.O., S. 54.
[12] Inge Kloepfer, Stefanie Hennig und Anne-Christin Sievers, „Neuer Trend – Deutschland strickt wieder“, faz.net vom 31.10.2012, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/neuer-trend-deutschland-strickt-wieder-11941078-l1.html (Zugriff 29.11.2012).
[13] Niko Paech, a.a.O., S. 8.
[14] Niko Paech, a.a.O., S. 15.
[15] Interview in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 28.10.2012, “Stürme lassen sich leichter berechnen als die Euro-Krise”, S. 39.
[16] Niko Paech, a.a.O., S. 38.
[17] Niko Paech, a.a.O., S. 23.
[18] Niko Paech, a.a.O., S. 72.
[19] Niko Paech, a.a.O., S. 149.