Pascal Martens
Im Juni erklärte dieser Blog die Chancen und Risiken des Frackings aus technischer Sicht („Fracking, Teil 1: Lösung aller Energieprobleme oder nur Zeitgewinn mit unabsehbaren Folgen?“). Teil 2 bietet eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse am Beispiel der USA. Denn hier hat Fracking zu einem Preisverfall von Erdgas geführt, die Euphorie scheint dort grenzenlos zu sein, während Europa zunehmend Panik befällt. Zu Recht? Wie sieht die Zukunft aus?
Woher kommt der globale Fracking-Hype?
In den letzten Jahren prägten zwei wesentliche Änderungen den weltweiten Energiemarkt. Zum einen scheinen unkonventionelle Fördermethoden das Ende des fossilen Energiezeitalters hinauszögern zu können. Zum anderen divergieren die Öl- und Gaspreise zwischen den USA und Europa inzwischen erheblich.
Geologen unterscheiden Vorkommen und Reserven. Reserven stellen einen (kleinen) Teil des Vorkommens, die mit aktuellen Techniken wirtschaftlich förderbar sind. Je höher der Öl- bzw. Gaspreis, desto kostspieligere Fördermethoden lohnen sich[1]. Laut Internationaler Energie Agentur IEA lässt sich seit 2008 die konventionelle Erdölförderung nicht mehr steigern[2], sie geht seither vielmehr langsam zurück. Ausgeglichen bzw. weiter gesteigert wird die Öl- und Gasförderung nur noch mit unkonventionellen Quellen[3]. Etwa ein Drittel der weltweiten Gasvorkommen und ein Zehntel der Ölvorkommen lagern in Schieferschichten[4].
Der lange Zeit faktisch weltweite Markt für Öl und Gas ist Geschichte. Europa ist stark an den Ölpreis der Nordseesorte Brent gekoppelt, die USA an die US Sorte West Texas Intermediate. Beide Sorten Öl unterschieden sich früher nur um wenige Dollar[5].
Warum sind v.a. die USA so euphorisch?
Die USA fracken derzeit in 30 Bundesstaaten an rund 500.000 Bohrlöchern. Die Gasproduktion ist fast um ein Viertel gestiegen, der Preis um ein Drittel gesunken[6]. Auch beim Erdöl ist eine Zunahme der Förderung zu erwarten, und zwar so stark wie noch nie: Laut IEA werden 2013 in den USA zusätzlich 900.000 Barrel pro Tag gefördert werden. Damit steigt die Förderung auf täglich insgesamt 7,3 Millionen Barrel. Dies lockt Investoren in großem Stil an, Konzerne mit hohem Energieverbrauch eröffnen neue Werke in der Region, die USA erleben eine Renaissance der Industrialisierung[7]. Der Optimismus von Politik und Wissenschaft ist grenzenlos „Es gibt jetzt so viel Gas, die Politiker rechnen besser damit, dass es für den Rest des Jahrhunderts reicht“[8].
Tatsächlich sieht die IEA die USA auf dem Weg zum Selbstversorger und ihre Experten prognostizieren, die USA würden bis 2030 vom Energie-Importeur zum Exporteur[9]. Die reichen Vorkommen würden den weltweiten Preis für Öl und Gas drücken. So rechnet die IEA mit einem Rückgang der Nordseesorte Brent von aktuell 112 USD auf 99 Dollar pro Barrel im Jahr 2014. Der Preis der US Sorte West Texas Intermediate (WTI) werde dieses Jahr noch 89 Dollar und 2014 dann 91 Dollar pro Barrel erreichen. Die Hohe Differenz zwischen beiden Sorten verringere sich zwar, bleibt jedoch bestehen[10].
Wie bewerten Kritiker den (US-) Fracking-Hype und die optimistischen Prognosen?
Zunächst liegen die Förderkosten konventionellen Gases an Land nach wie vor unter denen des Schiefergases[11]. Auch erreichen gefrackte Quellen sehr schnell ihr Fördermaximum. So fällt bereits nach dem ersten Jahr die Förderquote gefrackter Ölquellen um rund 30 Prozent gegenüber nur jährlich 5-6 Prozent bei konventionellen Quellen. Daher liegt der Output binnen weniger Jahre nur noch bei einem Bruchteil der anfänglichen Förderquote. Wollen die USA die Förderung weiter steigern, so muss sich die Geschwindigkeit neuer Bohrungen exponentiell erhöhen[12]. Denn die neue Quelle muss nun zuerst den weggefallenen Anteil der alten Quelle ersetzen, bevor sie etwas zur Erhöhung der Förderquote beiträgt. Die daraus resultierende Hektik könnte neben explodierenden Kosten die Fahrlässigkeit bei der Arbeit erhöhen. Auch ein Preisverfall könnte es unwirtschaftlich machen, neue Bohrlöcher zu produzieren, wodurch die wachsende Produktion schnell ausgebremst würde.
Gefrackte Gasquellen, also Schiefergas (Shale Gas), haben ähnliche Probleme wie gefrackte Ölquellen, nur sehr viel stärker. Hier ist im Schnitt mit einem Förderrückgang von 70 bis 80 Prozent pro Jahr zu rechnen. Selbst wenn ständig neu gebohrt würde, könnte spätestens zwischen 2015 und 2017 die durch Fracking hervorgerufene zusätzliche Produktion kein neues Wachstum mehr generieren, sondern die Förderquote nähme rasant ab[13]. Eine steil fallende Förderung aus unkonventionellen Quellen träfe auf sinkende Förderquoten konventioneller Quellen.
Kritiker sagen zudem, dass die Schiefergas-Vorkommen deutlich überschätzt wurden. So kann Gas in den USA zum gängigen Marktpreis oftmals überhaupt nicht wirtschaftlich gefördert werden, wodurch die Reserve deutlich kleiner ausfällt als prognostiziert[14]. Auch die steuerliche Förderung kann hieran nichts ändern[15]. Denn die Prognosen richteten sich nach den besten Feldern, die bereits vor Jahrzenten angebohrt und nun durch Fracking restlos erschöpft sind. So könne insgesamt bis zu 42 Prozent weniger förderbar sein als bisher angenommen[16]. Weitere Analysen besagen, dass sich die USA bereits jetzt auf den Höhepunkt der Schiefergasförderung zubewegen[17]oder schon seit 2012 kein rasanter Anstieg der Förderung des Schiefergases vorliege, sondern sich die Produktion bereits auf einem Plateau befinde.
Folgende Beispielrechnung verdeutlicht hierbei die drohende Kostenexplosion: Allein im Haynesville-Fördergebiet müssen jährlich 800 Bohrungen neu gesetzt werden, um die Förderraten von 2012 aufrecht zu erhalten. Dies ist ein Drittel der Bohrungen im Jahr 2012. Eine Förderstelle kostet rund 9 Millionen Dollar. Das macht über 7 Milliarden Dollar jährlicher Zusatzkosten für eine konstante Gasförderung. Forscher errechnen für die gesamten USA 7.200 zusätzlich erforderlicher Bohrungen mit 42 Milliarden USD Kosten pro Jahr. 2012 brachte das geförderte Gas aber nur 33 Milliarden Dollar ein[18].
Oftmals kann Gas in den USA außerdem zum gängigen Marktpreis überhaupt nicht wirtschaftlich gefördert werden, wodurch die Reserve deutlich kleiner ausfällt als prognostiziert. Schließlich zeigt sich nach Ansicht der Kritiker inzwischen, dass energieintensive Industrien, die vom billigen Frack-Gas profitieren, nicht besser abschneiden als vergleichbare Branchen ohne dieses Gas. Denn der Kostenanteil für Gas sei so klein, dass er nur wenig ausmache. Zudem sei die angebliche Renaissance der amerikanischen Industrie überhaupt nicht eingetreten. Diese müsse sich durch höhere Exporte nachmessen lassen, was nicht der Fall ist. Auch im Vergleich zu den Exporten der EU zeige sich kein wachsender Wettbewerbsvorteil der USA. Laut US-Notenbank habe die Beschäftigung in der Industrie sogar eher nachgelassen[19].
Warum wird Fracking in Europa schwieriger als in den USA?
Vergleicht man die USA mit Europa, so kristallisieren sich zwei Unterschiede heraus: Die USA haben andere geologische Voraussetzungen und Europa hat andere Preise, ab dem Fracking wirtschaftlich wäre.
Die größten Vorkommen an Schiefergas besitzen die USA und China, Europa vergleichsweise nur wenig. Um wirtschaftlich die Vorkommen abzubauen, muss alle zwei Kilometer gebohrt werden. In den dünn besiedelten Gebieten der USA ist dies eher möglich als im dicht besiedelten Europa. Zudem liegen die Eigentumsrechte an natürlich Ressourcen in den USA nicht automatisch beim Staat wie in Europa, sondern bei den Eigentümern der Grundstücke. Dort gelten also ganz andere Anreize für die Bevölkerung, die Fracking erst ermöglichen[20].
Ein weiterer Punkt sind die Preise in Europa. In Deutschland kostet eine Megawattstunde Gas 27 Euro. Um hier wirtschaftlich zu fördern braucht es mindestens einen Preis von 40 – 50 Euro, eventuell sogar von 50 – 60 Euro[21]. Zudem besitzt Europa eine gute Gasversorgung, mit bestehenden Pipelines und Verträgen. Unkonventionelle Quellen würden nur billigere Konventionelle ersetzen. Die Förderung von Schiefergas wird in den USA zudem steuerlich stark gefördert[22]. Im Hinblick auf die Energiewende in Europa ist dies kaum denkbar.
Fazit
In den USA sind die Hoffnungen sehr groß, dass Fracking das fossile Zeitalter weiter am Leben hält. Allerdings beruhen diese Hoffnungen auf recht unrealistischen Annahmen und lassen sich außerdem keinesfalls auf Europa übertragen. Hier würde Fracking noch schneller unrentabel und die ökologischen wie auch politischen Probleme wären ungleich größer. Vielleicht möchten Energiekonzerne und Politiker der Bevölkerung nur weismachen, dass die Ölförderung mit Fracking immer weiter gesteigert werden kann und Überlegungen zu Alternativen, eine Energiewende also, letztlich unnötig seien. Doch die fossilen Ressourcen bleiben endlich und die Angst der Politik vor zukunftsfähigen Systemveränderungen gerade in der Energieversorgung keineswegs hilfreich. Fracking jedenfalls wird die weltweiten Energieprobleme nicht lösen.
Quellen:
[1] Süddeutsche.de, „Fracking-Öl könnte zehn Jahre reichen“, 11.Juni.2013, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/schiefergas-und-schieferoel-fracking-oel-koennte-zehn-jahre-reichen-1.1693508 (Zugriff 17.08.2013).
[2] Norbert Rost, “Fracking: Auf zu neuen (Fall-)Höhen?“, Telepolis, 29.01.2013, http://www.heise.de/tp/artikel/38/38457/1.html (Zugriff 17.08.2013).
[3] Tagesschau.de, „Fracking wird gewaltig überschätzt“, 25.03.2013, http://www.tagesschau.de/wirtschaft/fracking142.html (Zugriff 17.08.2013).
[4] Süddeutsche.de, a.a.O.
[5] Sebastian Ertinger, “USA entkoppeln sich von Ölimporten”, Handelsblatt, 09.01.2013, http://www.handelsblatt.com/finanzen/rohstoffe-devisen/rohstoffe/wegen-fracking-usa-entkoppeln-sich-von-oelimporten-seite-all/7606594-all.html (Zugriff 17.08.2013).
[6] Peter Carstens, „6 Fragen zu: Fracking“, GEO, 13.03.2013, http://www.geo.de/GEO/natur/oekologie/erdgas-6-fragen-zu-fracking-74451.html?p=5 (Zugriff 17.08.2013).
[7] Sebastian Ertinger, “USA entkoppeln sich von Ölimporten”, a.a.O.
[8] Prof. Dieter Helm, in: Winand von Petersdorff, „Fracking – müssen wir da mitmachen?“, 28.05.2013, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/energiepolitik/umstrittene-methode-fracking-muessen-wir-da-mitmachen-12194963.html (Zugriff 17.08.2013).
[9] Sebastian Ertinger, „Die Fracking-Blase“, Handelsblatt, 31.05.2013, http://www.handelsblatt.com/finanzen/rohstoffe-devisen/rohstoffe/schieferoel-die-fracking-blase-seite-all/8266554-all.html (Zugriff 17.08.2013).
[10] Sebastian Ertinger, “USA entkoppeln sich von Ölimporten”, a.a.O.
[11] Daniel Gros, „Daniel Gros – Warum Europa mit dem Fracking warten sollte“, Financial Times Deutschland, 17.10.2012, http://www.ftd.de/politik/europa/:top-oekonomen-daniel-gros-warum-europa-mit-dem-fracking-warten-sollte/70105502.html (Zugriff 17.08.2013).
[12] Norbert Rost, “Fracking: Auf zu neuen (Fall-)Höhen?“, a.a.O.
[13] Tagesschau.de, a.a.O.
[14] Markus Gärtner, „Amerikas Schiefergasboom droht jähes Ende“, 13.05.2013, http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-899442.html (Zugriff 17.08.2013).
[15] Daniel Gros, a.a.O.
[16] Peter Carstens, a.a.O
[17] Sebastian Ertinger, „Die Fracking-Blase“, a.a.O.
[18] Norbert Rost, „Fracking-Blase: Höhere Kosten und weniger Erträge als erhofft“, Telepolis, 28.02.2013, http://www.heise.de/tp/blogs/2/153829 (Zugriff 17.08.2013).
[19] Markus Gärtner, a.a.O.
[20] Daniel Gros, a.a.O.
[21] Redaktion MK-Kom, „Schiefergas in EU unwirtschaftlich“, Energie-Fokus.de, 01.02.2013, http://www.energie-fokus.de/schiefergas-in-eu-unwirtschaftlich-2310/ (Zugriff 17.08.2013).
[22] Daniel Gros, a.a.O.