Britta Kuhn
Seit der Finanzkrise entstanden zahllose nationale und internationale Regulierungen. Selbst Finanzexperten überblicken ihre Auswirkungen und Interdependenzen in keiner Weise, von einer demokratischen Kontrolle kann insofern erst recht keine Rede sein. Schlimmer noch: Die Flut komplizierter Gesetze und Verordnungen vermeidet keine künftigen Finanzkrisen, das System gilt unter Volkswirten als genauso instabil wie vor 5 Jahren. Statt Komplexität, die jeden staatlichen Regulierer überfordert, bedarf es daher einfacher Regeln, die automatisch greifen. Hierzu gehört – neben drastisch erhöhten Eigenkapitalanforderungen für Finanzdienstleister aller Art[1] – der Übergang zu einem Vollgeld-System nach Joseph Huber[2].
Das heutige Giralgeldsystem erzeugt Liquidität aus dem Nichts
Unser aktuelles Geldsystem beruht auf einer partiellen Reservehaltung von Kreditinstituten. Das Geldangebot der Volkswirtschaft entsteht dabei stark vereinfacht so: Kunde A zahlt 100 € Bargeld auf sein Girokonto bei Bank 1 ein. Für die Bank handelt es sich um einen Schuldtitel, der auf der Passivseite ihrer Bilanz verbucht wird. Für den Kunden handelt es sich um Giral- oder Buchgeld, das er jederzeit entweder in bar abheben oder überweisen kann. Er wiegt sich in Sicherheit. Tatsächlich aber hält Bank A nur z.B. 10% bzw. 10 € als Reserve auf der Aktivseite ihrer Bilanz, nämlich für die gesetzliche Mindestreserve von derzeit 1%, Eigenkapitalanforderungen und als Bargeldreserve. 90 € vergibt sie als Kredit an Kunde B. Aus 100 € werden so 190 € Liquidität. B kauft von den 90 € Kredit eine neue Hose bei C, der diesen Betrag wiederum auf sein Konto bei Bank 2 einzahlt. Bank 2 behält nun ihrerseits 10% bzw. 9 € als Reserve und vergibt 81 € Kredit an Kunde D. Die gesamte Liquidität steigt dadurch von 190 € auf 271 € an. Theoretisch endet dieser Prozess nach unendlich vielen Runden bei einem gesamten Geldangebot von 1.000 €: Aus ursprünglich 100 € Einlagen schöpfte die Kreditwirtschaft 1.000 € Buchgeld. Diesen Geldvermehrungsprozess stellen die volkswirtschaftlichen Einführungslehrbücher standardmäßig und ohne kritische Kommentierung dar[3], obwohl er keineswegs zu einer Stabilisierung des Finanzsystems beiträgt.
Die Geldschöpfung durch Kreditinstitute ist krisenanfällig
Die Buchgeld-Erzeugung der Banken beruht auf dem Prinzip Hoffnung: Die Geldhäuser erwarten, dass nicht alle Kunden gleichzeitig ihre Guthaben zu Geld machen wollen. In wirtschaftlich normalen Zeiten geschieht dies auch nicht, zumal Kreditwirtschaft und Politik unermüdlich auf die gesetzliche Einlagensicherung für Kleinanlagen bis 100.000 € und die zusätzlichen privaten Sicherungssysteme von Banken, Sparkassen und Genossenschaftswesen verweisen[4]. In Krisenzeiten jedoch reichen diese Mittel nicht ansatzweise aus[5]. Die Bürger müssen anderweitig beruhigt werden, oder das System kollabiert. Im September 2008, unmittelbar nach der Lehman-Insolvenz, versprachen daher Bundeskanzlerin Merkel und ihr damaliger Finanzminister Steinbrück, dass alle Einlagen sicher seien. Ein Schelm, der fragte, wie dieses Versprechen jemals hätte eingehalten werden können, wäre es dennoch zu einem Sturm auf die Banken gekommen. Aber erst während der Zypern-Krise des Frühjahrs 2013 erkannten viele Deutsche, dass Bankeinlagen letztlich risikobehaftete Kredite darstellen.
Beim Vollgeld kontrolliert die Zentralbank die Geldmenge
Im Vollgeldsystem zahlt Kunde A 100 € auf ein Girokonto, das nicht in die Bankbilanz eingeht. Damit ist es vor Insolvenz der Bank geschützt, die Gefahr eines „bankruns“ erübrigt sich. Allerdings erhält er auch keine Zinsen mehr, denn das Institut verwaltet seine Mittel nur noch. Eine Quersubventionierung der Girokonten entfällt. Etwas anderes gilt auf Sparkonten: Hieraus könnte die Bank Kredite geben. Da aber Spar- im Gegensatz zu Giroeinlagen nicht täglich abrufbar und damit kein Geld sind, schöpft das Institut hiermit keine zusätzliche Liquidität.
Das komplette Geldangebot flösse im neuen System direkt von der Notenbank an die Realwirtschaft, wobei noch genauer zu klären wäre, wie das technisch genau funktionieren würde, solange es noch bargeldlosen Zahlungsverkehr gäbe, der ja weiterhin Buchgeld bräuchte. Ein Regelmechanismus sähe z.B. ein inflationsneutrales „Geschenk“ auf Basis des BIP-Wachstums im vergangenen Jahr vor. Gegenüber diskretionären, also flexiblen Versorgungsmechanismen wäre der Prozess durch eine „Monetative und vierte Gewalt“ politischen Zugriffen entzogen[6]. Kontrollierte also die Zentralbank die gesamte Geldmenge, so könnte sie die Inflation vollständig steuern und Finanzblasen aller Art wirksam vermeiden.
In der öffentlichen Diskussion wird Vollgeld oft mit der wesentlich älteren Forderung Irving Fishers nach einer 100%igen Reservehaltung gleichgesetzt. Tatsächlich ist beiden Ansätzen gemeinsam, dass sie die Geldschöpfung vom Bankgeschäft trennen. Ihr wesentlicher Unterschied liegt aber darin, dass beim Vollgeld die Kundeneinlagen nicht mehr Teil der Bankbilanz werden und im Voraus durchfinanziert sein müssen. Bei der 100%-Reserve stellt sich diese Durchfinanzierung erst nachträglich ein, so dass die Zentralbank die Geldmenge nicht zu jeder Zeit vollständig kontrolliert[7].
Weitere Vorteile des Vollgeldsystems
Befürworter des Systemwechsels wie Helge Peukert versprechen sich vom Vollgeld auch ein Ende der Staatsverschuldung, damit weniger Einkommens- und Vermögenskonzentration, aber mehr Unabhängigkeit von Kapitalmärkten und Ratingagenturen. Auch die Kontrolle nationaler Budgets durch die EU-Kommission, ja die gesamte Diskussion um Eurobonds oder eine gemeinsame europäische Wirtschafs- und Finanzpolitik entfielen[8]. Beim Übergang von Giral- auf Vollgeld könne ein „Einmal-Zuschuss“ in Höhe der heutigen Buchgeldmenge die deutsche Staatsverschuldung um rund zwei Drittel senken und langfristig gehaltene, inflationsgeschützte „Volksanleihen“ für Inländer die „ungesunde Kaskade der Auslandsverschuldung“ abbauen[9]. Dass dieser Übergang die Kreditwirtschaft deutlich schrumpfen und entmachten würde, wäre ein volkswirtschaftlich wichtiger Schritt zu einem krisenfesten Finanzsystem, gegen den sich die Branche verständlicherweise wehrt.
[1] Vgl. z.B. Britta Kuhn, „Bankenregulierung: 20-30% Eigenkapital für alle statt Vorschriftendschungel“, 24.1.2014 auf diesem Blog (https://besser-wachsen.com/2014/01/24/bankenregulierung-20-30-eigenkapital-fur-alle-statt-vorschriftendschungel/) bzw. ausführlich „Echtes Eigenkapital für Banken auf 20-30% erhöhen“, in: Besser Wachsen, Aachen 2014, S. 35-45.
[2] Joseph Huber, z.B. „Vollgeld und 100%-Reserve (Vollreserve)“, 21.5.2013, http://vollgeld.de/blog/1952013vollgeld-und-100-reserve-chicago-plan; sehr umfassend: Monetative, http://www.monetative.de/ (Zugriff 7.3.2014).
[3] Vgl. z.B. N. Gregory Mankiw und Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, Stuttgart 20012, Kapitel 29, v.a. S. 771-774 „Geldschöpfung in einem Bankensystem mit partieller Reservehaltung“ und „Der Geldschöpfungsmultiplikator“. Etwas kritischer z.B. Christian Siedenbiedel, “Brauchen wir ein neues Geldsystem?” Faz.net vom 17.8.2013, http://www.faz.net/aktuell/finanzen/devisen-rohstoffe/nach-der-finanzkrise-brauchen-wir-ein-neues-geldsystem-12536461.html (Zugriff 7.3.2014).
[4] Genau genommen schützen Sparkassen und Genossenschaftsbanken keine Einlagen, sondern garantieren den Bestand der Institute. Ich danke meinem Kollegen Stefan Schäfer für diese Präzisierung.
[5] Kritisch z.B. Helge Peukert, Das Moneyfest,Marburg 2013, S. 112.
[6] Helge Peukert, a.a.O., S. 113. Siehe S. 113 ff. auch weitere Vorschläge oder sehr ausführlich Monetative, a.a.O.
[7] Joseph Huber, a.a.O.
[8] Helge Peukert, a.a.O., S. 117 f.
[9] Helge Peukert, a.a.O., S. 116.