Britta Kuhn
Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee verdeutlichen in „The second machine age“ die Vorzüge der internetbasierten Wirtschaft. Zu Recht?
Technikbegeisterte MIT-Experten
Der Untertitel bringt die Haltung der beiden Wissenschaftler auf den Punkt: „Work, Progess, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies”[1]. Die beiden MIT-Professoren für digitale Ökonomie haben mit Mathematik (Brynjolfsson) bzw. Maschinenbau (McAfee) begonnen, bevor sie sich wirtschaftlichen Studien widmeten. Entsprechend technikaffin zeigen sie anhand zahlreicher Einzelfälle, wie segensreich die digitale Ökonomie einzel- und gesamtwirtschaftlich wirkt und welches Potenzial ihr innewohnt. Dabei scheuen sie keinen Vergleich, wenn Sie zum Beispiel exponiert auf Seite 1 den Physiker und Mathematiker Freeman Dyson zitieren: „Techonology is a gift of God. After the gift of life it is perhaps the greates of God’s gifts. (…)“ Es handelt sich nicht um ihr erstes gemeinsames Buch, von beiden stammt der fast noch aussagekräftigere Titel “Race Against The Machine. How the Digital Revolution is Accelerating Innovation, Driving Productivity, and Irreversibly Transforming Employment and the Economy”.
Vorzüge der digitalen Revolution
Drei wesentliche Helfer der Digitalisierung unseres Alltags sehen die Autoren: Exponentielle Verbesserungen bei den Computerkapazitäten, riesige digitale Datenmengen und Innovation durch neue Verknüpfungen[2]. Den Beitrag des Internets zur Lebensqualität feiern sie enthusiastisch: „The billions of hours that people spend uploading, tagging, and commenting on photos on social media sites like Facebook unquestionably creates value for their friends, family, and even strangers.“[3] Unter der Überschrift „A Smaller Slice of a Bigger Pie“ gehen sie auch den Verteilungseffekten des technischen Fortschritts nach: So erzielten US-Arbeiter zwischen 1963 und 2008 umso höhere Lohnzuwächse, je qualifizierter sie waren. Umgekehrtes galt für Schulabbrecher[4]. Analog sank zwischen 1952 und 2012 der Lohnanteil am US-BIP, während der Gewinnanteil stieg[5]. Schließlich betont das Buch die Bildungschancen des digitalen Zeitalters, gerade auch für Entwicklungsländer und fordert von der Politik bessere Rahmenbedingungen beispielsweise für gute Schuldbildung, Startups, Wissenschaftler und Infrastruktur[6]. Auch Einwanderung halten die Autoren in der Internetökonomie für besonders wichtig, da Immigranten an der Gründung von US-amerikanischen Ingenieurs- und Technologieunternehmen in der jüngeren Vergangenheit weit überproportional beteiligt gewesen seien[7].
Haben Brynjolfsson und McAfee Recht?
Die Autoren bewerten die digitale Wirtschaft euphorisch. Ihre Kritik zum Beispiel, das BIP ignoriere viele kostenlose Internet-Leistungen wie diejenigen von Google, Wikipedia oder Facebook, findet inzwischen viel Zuspruch[8]. Allerdings blenden sie hinsichtlich der Internet-Nutzung den wachsenden Zeit-, Konzentrations- und Gesundheitsverlust aus, den Spam aller Art und digitales Suchtverhalten produzieren. Auch erklärt die unvollständige BIP-Messung nur zum Teil, warum trotz digitaler Revolution das durchschnittliche jährliche Produktivitätswachstum in den OECD-Ländern zwischen 2004 und 2014 wesentlich niedriger war als in den Jahrzehnten davor – Volkswirte sprechen vom einem Paradoxon[9]. Schließlich spielen Datenschutzprobleme an keiner Stelle des Buches eine Rolle. Aber immerhin sorgen sie sich auch um die Armut auf dieser Welt und sehen die Kreativität, die von (besonderen) Menschen ausgeht[10] – die OECD spricht hier nüchterner von „Frontier Firms“ als den eigentlichen Motoren des technischen Fortschritts[11].
Insgesamt erscheint das Buch lesenswert, auch wenn man die geradezu religiöse Verehrung der Digitalisierung nicht teilt.
[1] Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee, The second machine age. Work, Progess, and Prosperity in a Time of Brilliant Technologies. NY 2014, S. 222 f.
[2] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 90 (im Original „recombinant innovation“).
[3] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 116.
[4] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 131 (Zitat) und S. 235, Figure 9.2 (US-Arbeiter).
[5] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 144, Figure 9.3.
[6] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 194 (Entwicklungsländer), 208 ff. (Schulbildung), 2014 ff. (Startups); 218 ff. (Wissenschaftler), 220 ff. (Infrastruktur).
[7] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., S. 223. Die Autoren schreiben hierbei zwar von „America“, meinen aber vermutlich nicht der ganze Kontinent, sondern nur die USA, um die es in ihrem Werk vornehmlich geht.
[8] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., chapter 8 „Beyond GDP“; siehe dazu auch The Economist vom 30.4.2016, Briefing Measuring economies, „The trouble with GDP“, pp. 21-24, Forschungsergebnisse Brynjolfsson auf S. 24. Konkrete Schätzungen der nicht erfassten, digitalen BIP-Beiträge der digitalen Wirtschaft auch bei Bert Rürup, „Die große Ernüchterung“, Handelsblatt vom 10.-12.6.2016, S. 47.
[9] Berechnung Produktivitätswachstum: BIP-Wachstum pro Arbeitsstunde, vgl. „OECD Compendium of Productivity Indicators 2016“, Paris 2016, S. 16 ff. „The productivity slowdown and paradox“, v.a. S. 17 f. (Figure 1.1. und Box 1.1.), http://www.keepeek.com/Digital-Asset-Management/oecd/industry-and-services/oecd-compendium-of-productivity-indicators-2016_pdtvy-2016-en#.V80c1K28zcs#page19 (Zugriff 5.9.2016). Gute Zusammenfassung und weiterführende Hinweise auch bei Bert Rürup, a.a.O.
[10] Brynjolfsson/McAfee, a.a.O., Armut: z.B. Zitat Franklin D. Roosevelt zu Beginn von Kapitel 11: „The test of our progress is not whether we add more to the abundance of those who have much it; is whether we provide enough for those who have little.” Kreative: z.B. Zitat Elbert Hubbard zu Beginn von Kapitel 10: „One machine can do the work of fifty ordinary men. No machine can do the work of one extraordinary man.”
[11] OECD, „The future of productivity“, Paris 2015, z.B. p. 9, https://www.oecd.org/eco/growth/OECD-2015-The-future-of-productivity-book.pdf (Zugriff 5.9.2016).