Britta Kuhn
Wer geldpolitische Lockerungen im Eurosystem vorhersagen will, sollte nach Japan schauen. Aber nicht alles lässt sich übertragen oder war dort erfolgreich.
Japan: Ultralockere Geldpolitik seit 20 Jahren[1]
Die Bank of Japan senkte die Leitzinsen erstmals 1999 auf nur 0%. Zum Vergleich: Das Eurosystem unternahm diesen Schritt erst 2016. Ab 2001 kaufte Japans Zentralbank außerdem Regierungsanleihen. Einen Versuch, aus dieser Politik ab 2006 auszusteigen, beendete die Finanzkrise. 2010 sank der Zentralbankzins wieder auf 0%. Neben Staatsanleihen kauft die Bank of Japan seither auch Unternehmensschulden, ETFs und REITs. [2] 2013 stieg das Inflationsziel der Währungshüter von 1% auf 2%. Außerdem weiteten sie den Ankauf staatlicher und privater Wertpapiere drastisch aus. 2016 startete die Kontrolle der Zinskurve. Hierbei kauft die Zentralbank sowohl kurz-, als auch langfristige Staatsanleihen, um die Renditen über alle Laufzeiten in den von ihr gewünschten Korridor zu bringen. Nur negative Nominalzinsen führte Japan etwas später als der Euroraum ein, nämlich erst Anfang 2016 (Eurosystem: 2014).
Yield Curve Control im Eurosystem?
Zwecks Kontrolle der Renditekurve erwirbt Japans Notenbank unlimitiert Regierungskredite, sobald deren Rendite über dem Zielkorridor liegt. Im Euroraum gibt es aber erstens viele nationale Renditekurven. Die EZB müsste also beispielsweise mit gewichteten Durchschnitten arbeiten. Rein technisch ähnelt PEPP, ihr Anleihenkauf-Programm zur Pandemie-Bekämpfung[3], dieser Politik bereits. Denn das monatliche Kaufvolumen hat die EZB bei PEPP offengelassen. Daneben fehlt die bisherige Bindung der Anleihe-Käufe an nationale Kapitalschlüssel. Dürfte das Eurosystem also bei stark steigenden Renditen unlimitiert Staatsanleihen eines oder aller Euroländer kaufen? Bisher lag die Grenze bei 33% der öffentlichen Außenstände je Land und bei supranationalen Kreditnehmern wie der EU bei 50%.[4] Eine wirklich glaubwürdige Politik der Zinskurvenkontrolle bräuchte aber wohl unbeschränkte Kaufprogramme. Ob dies politisch und rechtlich durchzusetzen ist, scheint heute mehr als fraglich.
ETF- und REIT-Käufe als Alternative?
Ebenfalls unklar ist, ob die EZB überhaupt ETF kaufen dürfte und die nationalen Marktsegmente dafür nicht viel zu fragmentiert sind. Dies gilt verstärkt für REITs. Beides führte dieser Blog 2019 in Kurzform aus.[5] Durch ETF-Käufe übernähme die EZB indirekt Aktien, also Unternehmenskapital. Probleme entstünden spätestens bei Firmenpleiten. Dann hielten die Währungshüter entweder „Zombie-Werte“ in der Bilanz, oder müssten ihre Außenstände abschreiben. Heißt: Sie müssten rekapitalisiert werden – aus Regierungseinnahmen oder durch Geldschöpfung. Wobei die monetäre Finanzierung billiger, aber weniger vertrauensbildend wäre.[6] Ganz abgesehen von der Frage, ob Notenbanken bessere Unternehmen hervorbringen als der private Kapitalmarkt.
Erfolgversprechende monetäre Lockerung?
Trotz ultraexpansiver Geldpolitik leidet Japan seit Jahrzehnten unter Stagnation und Deflationsgefahr. Unklar ist vor allem, ob der japanische Weg ökonomisch gegen die Vergreisung der Bevölkerung ankommt. Ein wichtige Frage gerade für Deutschland, das schon heute fast so alt und wachstumsschwach ist wie Japan.
[1] Eine lesenswerte Darstellung der japanischen Geldpolitik, auf der die folgenden Angaben beruhen, bietet Niklas Westelius, Twenty years of independence. Lessons and way forward for the Bank of Japan, Internationaler Währungsfonds, IMF Country Report 20/40, Februar 2020, S. 34–49, S. 35-40.
[2] Exchange Traded Funds (ETFs) bilden die Wertentwicklung eines Indizes wie den Deutschen Aktienindex DAX ab. Real Estate Investment Trusts (REITs) sammeln Kapital, das sie anschließend in Immobilien investieren.
[3] PEPP: Vgl. European Central Bank, Monetary policy decisions, Press release, 4. 6. 2020.
[4] Vgl. Jakob Blume/Astrid Dörner/Jan Mallien, Das letzte Mittel der Notenbanken, sowie Jakob Blume, Neue EU-Anleihen, in: Handelsblatt, 3. /4. /5. 7. 2020, S. 26–27.
[5] Langfassung: Leoni Wintermantel, Japans aktuelle Geldpolitik – Blaupause für die Europäische Zentralbank in der nächsten Krise?, Bachelor These, Wiesbaden 8. 3. 2019, S. 15-18.
[6] Vgl. Unprofitable arguments, in: The Economist 9. 5. 2020, S. 61.