Goodhart sagt langjährige Inflation voraus

Britta Kuhn

Charles Goodhart und Manoj Pradhan prognostizierten es schon 2020 in „The Great Demographic Reversal“: Bevölkerungsentwicklung und Deglobalisierung bewirken dauerhafte Inflation.[1]

Kernthese: Aus Deflations- wird Inflationsdruck

Goodhart war Professor für Banking and Finance an der London School of Economics. Der bereits 85-Jährige ist unter Volkswirten wesentlich bekannter als sein Koautor. Die (mehrfach wiederholte[2]) Kernthese des Buches ist spätestens seit Putins Ukraine-Überfall und Personalmangel an deutschen Flughäfen auch für Laien offensichtlich: Seit den 1990er Jahren habe die globale demografische Entwicklung und die weltwirtschaftliche Integration Chinas sowie Osteuropas Deflationseffekte verursacht. Denn es hätten zahllose zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung gestanden. In den nächsten Jahrzehnten dagegen altere die Weltbevölkerung und die Globalisierung gehe zurück. Folglich würden alle Preise steigen, also nicht nur für Güter, sondern auch für Arbeit und Kapitalüberlassung – sprich Löhne und Zinsen. COVID 19 beschleunige den Inflationsdruck.[3]

Positiv: Umfassende empirische Untermauerung der Kernthese

Goodhart und Pradhan belegen ihre Botschaft umfassend und wohlstrukturiert. Eine schnelle Übersicht über sämtliche Aussagen ermöglicht zum Beispiel Kapitel 1. Viele langfristige Ländervergleiche sind informativ und bestens visualisiert. Dazu gehören z.B. die Entwicklung der Preise für Güter und Staatsanleihen in reichen Ländern seit 1980 bzw. 1960 [4], der weltweiten Fertilität und Lebenserwartung seit 1955[5] oder der Arbeitsmarktintegration 55-65-Jähriger in Abhängigkeit von den Pensionen[6]. Die Autoren sind u.a. davon überzeugt, dass die kurzfristigen Realzinsen niedrig bleiben, die langfristigen Realzinsen aber steigen dürften.[7] Interessant ist auch, wie sie den Fall Japan einschätzen: Im Wesentlichen hätte das alte Japan die fehlenden heimischen Arbeitskräfte jahrzehntelang über die globale Arbeitsteilung kompensieren können. Diese Strategie sei dem Westen aber künftig verschlossen.[8] Denn Indien und Afrika würden zwar demografisch wachsen, ökonomisch aber nicht.[9] Will sagen: Solange es nicht gelingt, die vielen jungen Menschen in diesen (Sub-)Kontinenten zu hochqualifizierten Arbeitskräften auszubilden, werden die weltweiten Löhne trotz Bevölkerungsanstieg steigen.

Negativ: Unterbelichtete Rohstoff-Thematik

Sicher hätte es weniger als 200 Seiten bedurft, um die spannende Kernthese zu vermitteln. Zum Beispiel durch Verzicht auf Nebenthemen und mehrfach verwertete Abbildungen.[10] Der Fokus auf die Bevölkerungsentwicklung vernachlässigt daneben die Preiseffekte knapper Rohstoffe. Angesichts zunehmender geopolitischer Spannungen – Stichworte „bipolare Weltordnung“ und „strategic Decoupling“ – ist spätestens seit dem 24.2.2022 nicht mehr der preiswerteste Rohstofflieferant auch der beste. Vielmehr hat das Autarkie-Argument nationaler Sicherheit sprunghaft an Bedeutung gewonnen. Lithium-Förderung im Rheingraben oder Photovoltaik aus Deutschland wird aber noch lange teurer sein als russisches Öl oder Atomkraftwerke, deren externe Kosten (u.a. der Endlagerung) bisher nicht umfassend eingepreist wurden.


Quellen:

[1] Charles Goodhart und Manoj Pradhan. The Great Demographic Reversal, Palgrave Macmillan, 2020. Vgl. auch die längere Buchbesprechung: Britta Kuhn, The Great Demographic Reversal, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (2021) 74(21), S. 1144.

[2] Z.B. S.V, S. 206 f. und Umschlag vorne.

[3] S. 213.

[4] S. 5 und 7, Diagram 1.3 und 1.5.

[5] S. 42, Diagram 3.1 und 3.2.

[6] S. 154, Diagram 10.3 und 10.4.

[7] S. 99.

[8] Kapitel 9, v.a. S. 146.

[9] Kapitel 10, v.a. S. 157.

[10] Nebenthemen: Z.B. Demenz in Kap. 4 oder Populismus in Kap. 7. Mehrfach verwertete Abbildungen: Z.B. Diagramm 4.3 und 5.5 auf S. 66 und S. 77 oder Diagramm 6.4 und 10.2 und auf S.92 und S. 153.

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