Britta Kuhn
Tilman Kiefers Bachelor-Thesis zeigt, wie eine Vollgeldreform gelingen könnte[1]
Die Vorteile von Vollgeld gegenüber der heutigen globalen Geldordnung überzeugen. Was blockiert bisher den Systemwechsel und wie könnte er gelingen?
Vorteile und Hemmnisse des Systemwechsels
Die Bachelorarbeit verdeutlicht Unterschiede und Pluspunkte des Vollgelds gegenüber unserem heutigen fraktionellen Reservesystem. Auch dieser Blog führte am 28.3.2014 und 6.2.2015 in die Reformdiskussion ein[2]. Stark vereinfacht würden Banken nicht mehr Geld aus dem Nichts schaffen, sondern nur noch Kredite vergeben, die durch Zentralbankgeld gedeckt wären. Die Kundeneinlagen bei Banken wären dadurch so sicher wie in einem Safe. Die Zentralbank könnte die Geldversorgung der Wirtschaft vollständig kontrollieren und somit steuern. Kreditblasen und Bankruns gehörten der Vergangenheit an. Schließlich flössen die Geldschöpfungsgewinne nicht mehr an die Bankenbranche, sondern an die Zentralbank und damit im Idealfall zurück an die gesamte Volkswirtschaft.
Die Reform kämpft jedoch mit drei Schwierigkeiten: Ein nationaler Alleingang wäre – wie bei allen Finanzmarktreformen innerhalb der Weltfinanzarchitektur – sehr mutig. Deshalb traute sich bisher keine Regierung diesen Schritt zu. Daneben verlöre die private Bankenbranche viel Geschäft, was zwar gesamtwirtschaftlich unproblematisch wäre, aber einzelwirtschaftlich auf erbitterten Widerstand dieser politisch hervorragend vernetzten Interessengruppe stößt. Schließlich müssten die Reformschritte erstmals praktisch umgesetzt werden, was angesichts ihrer Tragweite idealerweise zunächst in einer Pilotregion stattfände.
Vorkämpferin Schweiz
Voraussichtlich im Jahr 2017 wird die schweizerische Bevölkerung über eine Vollgeld-Initiative abstimmen. Ihre Gründer kämpfen dabei gegen Regierung und Bankenbranche: Der Bundesrat sieht bei einem Systemwechsel im Alleingang die internationale Stellung des schweizerischen Finanzplatzes bedroht, die Bankiersvereinigung befürchtet eine Kreditklemme. Unabhängig vom Ergebnis hat die Initiative jedoch etwas erreicht, wovon Deutschland noch meilenweit entfernt ist: Die Gefahren unserer aktuellen Geldordnung und die Vorteile eines radikalen Systemwechsels für die Stabilität des Weltfinanzsystems werden in der Schweiz auf breiter Front diskutiert[3]. Aus weltweiter Sicht wäre die Schweiz darüber hinaus ein ideales Versuchslabor für eine geographisch begrenzte Pilot-Reform. Doch wie könnte der Weg vom heutigen fraktionellen Reservesystem in die Vollgeld-Ordnung ganz konkret aussehen?
Vollgeldreform konkret[4]
Zum Stichtag der Umstellung verwandelten sich alle Reserven und das gesamte Buchgeld zu Vollgeld. Girokonten würden zu Geldkonten außerhalb der Bankbilanz: Bei Konkurs der Bank gingen diese Sichteinlagen der Kunden nicht mehr in die Konkursmasse ein – wie schon heute Wertpapierdepots. Staatliche oder Instituts-Einlagenversicherungen wären damit obsolet.
Nur die Zentralbank könnte Geld schöpfen und so die gesamte Geldmenge M1 kontrollieren, also außerhalb des Bankensektors umlaufendes Bargeld sowie täglich fällige Einlagen der Nichtbanken. Kreditinstitute würden auf ihre ursprüngliche Intermediationsrolle zurückgeführt, d.h. Spareinlagen an Investoren vermitteln. Sie könnten nur Geld verleihen, das ein Kunde von seinem Geld- auf ein Anlagekonto überwiesen hätte. Dieses Anlagekonto wäre riskant und entsprechend verzinst: Falls die Geschäftsbank den entsprechenden Investoren-Kredit nicht zurückerhielte, müsste der Anlagekunde sein Vermögen abschreiben.
In der Zentralbank–Bilanz käme es in der Übergangszeit zu einem Passivtausch von Banknoten zu Eigenkapital und zu einem Aktivtausch von „Forderungen an Banken“ zu „Vorrat an Buchgeld“. Neues Zentralbankgeld verlängerte die Bilanz, nämlich durch steigenden „Vorrat von Banknoten, Münzen und Buchgeld“ auf der Aktivseite und entsprechend mehr Eigenkapital auf der Passivseite.
Zusätzliche Liquidität könnte die Zentralbank am besten dadurch in den Wirtschaftskreislauf schleusen, dass sie Gewinne an den Staat (oder die Einwohner) ausschüttete. Die staatliche Gewinnüberlassung entspräche dem heutigen Münzregal der Regierungen namens Seignorage, also dem Recht, die Gewinne der an die Zentralbank verkauften Münzen einzubehalten.
Staatsschuldenabbau oder Inflation?[4]
Ein auf Banknoten und Buchgeld erweitertes Seignorage könnte nach Ansicht der Vollgeldreformer auch umfassend Staatschulden abbauen. Insbesondere die Geldschöpfungsgewinne der einmaligen Umstellung von M1 auf Vollgeld kämen nämlich dem Staat zugute und Geschäftsbanken würden nicht mehr von Staatsverschuldung profitieren. Die Thesis beziffert den einmaligen Umstellungsgewinn im Eurosystem auf rund 5 Billionen €, dem eine kumulierte Staatsschuld von ca. 9,3 Billionen € der 19 Mitgliedsländer gegenüberstünde[5].
Die Gefahr, dass staatliche Geldschöpfung im Gegensatz zur Geldschöpfung durch Kreditinstitute inflationär wirken könnte, sehen die Vollgeld-Befürworter nicht[6]. Ob diese Vermutung zutrifft, könnte wohl nur der Praxisversuch einer unbedingt politisch unabhängigen Zentralbank zeigen.
[1] Karl Tilman Kiefer, „Könnte Vollgeld Finanzkrisen verhindern? Eine kritische Analyse“, Bachelor Thesis, Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain, 11.3.2016, Kapitel 6.
[2] Karl Tilman Kiefer, a.a.O., Kapitel 2-5; auf diesem Blog: https://besser-wachsen.com/2014/03/28/vollgeld-verhindert-finanzkrisen/ und https://besser-wachsen.com/2015/02/06/neue-geldordnung-gegen-finanzkrisen-und-verteilungsschere/. Grundlagen der Geldtheorie mit einfachen Buchungssätzen bei Geschäfts- und Zentralbanken: Z.B. Otmar Issing, Einführung in die Geldtheorie, 15. Auflage, München 2011.
[3] Holger Alich, „Die Banken-Revoluzzer“, Handelsblatt vom 1.3.2016, S. 32.
[4] Karl Tilman Kiefer, a.a.O., Kapitel 6, vornehmlich auf Basis von Joseph Huber, „Monetäre Modernisierung“, Marburg 2014 (4. Auflage) und Thomas Mayer „Wie Vollgeld in Umlauf bringen? Bilanzierungsmöglichkeiten aus Sicht der Zentralbank“, 2013).
[5] Karl Tilman Kiefer, a.a.O., S. 18.
[6] Vgl. Joseph Huber, a.a.O., S. 72 i.V.m. S. 81.