IMMER MEHR IST NICHT GENUG!

Britta Kuhn

Vortrag der ZEIT-Journalistin Petra Pinzler am 7.3.2013 in Wiesbaden

Wozu dienen Wirtschaft und Politik? Warum streben wir nach immer mehr materiellem Wohlstand? Was sind sinnvolle Glücksindikatoren? Diese und ähnlich nachdenkliche Fragen stellte Pinzler dem bunt gemischten Publikum in einer Attac-Veranstaltung im Pariser Hoftheater Wiesbaden. Die Volkswirtin erläuterte wesentliche Erkenntnisse führender Glücksforscher und Wachstumskritiker in einem humorvoll-unterhaltsamen Vortrag, den sie nach ihrem Buch[1] benannt hatte. Daneben brachte sie interessante Lebenserfahrungen ein, vor allem aus den USA. In der anschließenden Diskussion zeigte sie sich intellektuell sehr neugierig und gesprächsbereit. Lediglich ihren Optimismus, dass nachhaltige Lebensformen ohne harte politische Anreize an Raum gewinnen werden, vermochte nicht jeder im Saal zu teilen.

Was kennzeichnet ein gutes Leben?

Wir streben materiell nach immer mehr, werden aber nicht glücklicher. Diese Erkenntnis erläuterte Pinzler anhand einschlägiger Studien aus der Glücksforschung. Und fragte, warum Politiker uns zu einem immer höheren Bruttoinlandsprodukt verhelfen wollen anstatt zu einem guten Leben in einem guten Land. Besonders erwähnte sie den von Catherine Austin Fitts erdachten „Popsicle-Index“[2]: Er ermittelt durch Befragung, ob ein Kind dieses in den USA beliebte Wassereis in einem Stadtteil alleine kaufen kann. Klingt banal, ist aber entlarvend: Gibt es im Viertel zu viel Kriminalität oder Verkehr? Existiert dort überhaupt noch eine Eisdiele? Oder ist es eher wie in Sao Paulo, wo sich die Superreichen nur noch mit Hubschraubern aus dem Haus trauen, was die Lebensqualität doch etwas einschränkt?

Wider den Konformismus

„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks“, zitierte Pinzler sinngemäß den Philosophen Søren Kierkegaard. Oder in den Worten des britischen Wachstumskritikers Tim Jackson: „Wir nehmen Kredite auf, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen, um damit Leute zu beeindrucken, die uns egal sind.“[3] Tatsächlich sei der Gruppenkonformismus aber nicht nur bei Jugendlichen extrem ausgeprägt. Daher spiele die Einkommensverteilung eine große Rolle für das Wohlbefinden einer Gesellschaft: Gleichere Gesellschaften seien glücklicher, wie zahlreiche Studien nachgewiesen hätten. Darum verwundere es auch nicht, dass die Menschen beispielsweise in Dänemark viel zufriedener seien als in Russland.

Anti-Vorbild USA

Da die ZEIT-Korrespondentin mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika gelebt und gearbeitet hat, kommentierte sie spannend die dort „viel extremeren Trends“: Finanzieller Erfolg eröffne sofortigen gesellschaftlichen Aufstieg, entsprechender Misserfolg aber auch unmittelbaren Abstieg. Ob dieses System allerdings demokratischer sei als die traditionelle europäische Ständegesellschaft, bezweifelte die Referentin. Vielmehr würden Bürger zu reinen Konsumenten reduziert: So ersetzten Einkaufszentren zunehmend die Städte. In Einkaufszentren gelte aber eine Hausordnung, die Demonstrationen verböte und Obdachlose sofort verbanne. Wichtiger als immer mehr Geld seien den Menschen mehr Zeit, bessere Aufstiegschancen und Mitbestimmungsmöglichkeiten, wie Pinzler vor allem anhand einer empirischen Studie für die Schweiz verdeutlichte. In Anlehnung an Tomáš Sedláček kritisierte Sie, dass die Wirtschaft in den westlichen Gesellschaften Religionsstatus erreicht habe.

Hoffnungsvoller Ausblick…

Pinzler zeigte sich zuversichtlich, dass immer mehr Menschen erkennen werden, dass „immer mehr“ nicht glücklich mache. Sie nannte viele Mut machende Beispiele: An ihrem Wohnort Berlin explodiere car-sharing; Die Autozulassungen bei unter-30-Jährigen sänken; Die „grüne“ US-Stadt Portland in Oregon sei sehr lebenswert; Das belgische Hasselt habe sich schon vor Jahren gegen eine Stadtautobahn und für einen radikalen Politikwechsel zugunsten einer autofreien Innenstadt entschieden[4]; Das vormals stark kritisierte Großunternehmen Nike arbeite unter Leitung einer von Oxfam kommenden Nachhaltigkeits-Managerin an einer Kreislaufwirtschaft.

… aber auch Skepsis

In der anschließenden Diskussion zeigten sich einige Diskussionsteilnehmer weniger optimistisch. Die Dinge müssten erst eskalieren, bevor Bürger und Politik umdächten. Oder: „Kleine Lösungen“ wie car-sharing führten überhaupt nicht zum Ziel, ein Systemwechsel sei nötig. Aber wohin: In die Postwachstumsgesellschaft à la Paech[5]? Oder doch eher in ein marxistisches Gesellschaftsmodell? Pinzler brach jedoch standhaft eine Lanze für Modellprojekte „von unten nach oben“ wie z.B. die zahlreichen lokalen Initiativen gegen die Wasserprivatisierung in Europa. Ob dies denn weltweit irgendetwas bringe? Die Referentin bejahte und erläuterte Deutschlands Vorbildrolle am Beispiel der Energiewende: „Die wird weltweit stark beobachtet, das hat eine Riesen-Ausstrahlung!“

Natürlich blieben viele Fragen offen: Wie könnte ein Übergang in eine nicht mehr wachsende Wirtschaft praktisch ablaufen? Hierfür liefere die wissenschaftliche Volkswirtschaftslehre bisher wenig Modellierungsansätze, so Pinzler. Und viel banaler: Stellen die sinkenden Kfz-Zulassungen junger Menschen wirklich eine Abkehr vom Auto als Statussymbol dar? Oder lassen sie sich auf das v.a. von Männern immer länger genutzte „Hotel Mama“ zurückzuführen? Sicher war jedoch: Ohne Umdenken geht nichts und jede noch so kleine Bürgerinitiative ist ein guter Anfang!


Quellen:

[1] Petra Pinzler, „Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück“, München 2011.

[2] Details: Petra Pinzler, a.a.O., S. 33 f.

[3] Kierkegaard und Jackson: Gedächtniszitat Kuhn aus dem Vortrag.

[4] Details: Hannes Hoberg, „Autofreie Innenstädte – Ein Plädoyer“, 17.2.2012 auf diesem Blog, https://besser-wachsen.com/2012/02/17/das-konzept-einer-autofreien-innenstadt-am-beispiel-wiesbadens-von-hannes-hoberg/.

[5] Niko Paech, „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“, München 2012. Besprechung auf diesem Blog unter https://besser-wachsen.com/2012/12/04/befreiung-vom-uberfluss1/ und https://besser-wachsen.com/2012/10/20/souveran-ist-nicht-wer-viel-hat-sondern-wenig-braucht1/

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